Am 2. Juni 2017 geht um 5:23 Uhr die Sonne über Rochuskapelle, Oblatenkloster St. Rupert und Rhein auf. Glutrot ist der Horizont um die Sonne. Ich schlürfe meinen Kaffee und genieße die Minuten in den Weinbergen.
Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Am Besten mit dem Aufstehen heute morgen. Ich stehe gerne früh auf. Da mag meine Zeit bei der Bundeswehr hilfreich gewesen sein. Wenn man mehrmals in der Nacht unvermittelt oder auch am frühen Morgen noch vor der Crew aufstehen muss, dann muss man das einfach mögen. Ansonsten sind es höllische Nächte und höllische Morgen. Jetzt ist es 3:51 Uhr am 2. Juni, und ich bin wach. Vor einer Minute habe ich den Wecker ausgestellt, und jetzt stehe ich in der Küche, um die Kaffeemaschine einzuschalten.
Etwa eine Stunde später bin ich auf der Autobahn 60 von Mainz in Richtung Bingen unterwegs. Nur etwa 40 Minuten soll die Fahrt bis zur Rochuskapelle in Bingen laut Google Maps dauern. Das kommt hin. Ich bin bereits an Ingelheim vorbei, die Autobahn ist noch ziemlich leer, der Himmel ist sternenklar. Ich höre irgendetwas Barockes im Autoradio, vermutlich SWR2. Das passt irgendwie zur Rochuskapelle. Die Rochuskapelle liegt bei Bingen auf dem Rochusberg, im Norden umgeben von etwas Wald. Auf den Hängen in Richtung Süden wird Wein angebaut. Im Osten liegt das Weindorf Kempten, ein Stadtteil von Bingen.
Zwei Tage später werde ich südlich von Bingen eine Wanderung rund um Laurenziberg machen und dabei auf der Nordseite beispielsweise vom Kloster Jakobsberg aus die etwa 6 Kilometer entfernte rote und spitze Rochuskapelle oft im Blickfeld haben. Die Rochuskapelle erhebt sich über den Wald und ist durch ihren roten Sandstein von weitem gut sichtbar. Heute freue ich mich darauf, die Sonne direkt über der Rochuskapelle aufgehen zu sehen. Das ist zumindest der Plan.
Inhaltsverzeichnis
Rochuskapelle Bingen
„Rochuskapelle“ ist
… der Name verschiedener Kirchengebäude, die das Patrozinium des heiligen Rochus von Montpellier, Nothelfer gegen die Pest und andere Seuchen, tragen.
(Seite „Rochuskirche“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 3. Februar 2017, 14:11 UTC. (Abgerufen: 26. Juni 2017, 15:16 UTC))
Das passt ja. Die erste Rochuskapelle in Bingen wurde auf dem Rochusberg im Pestjahr 1666 gebaut. Während der französischen Besetzung wurde sie 1795 durch Beschuss von deutschen und österreichischen Truppen zerstört. Der zweite Bau entstand 20 Jahre später nach einer Typhusepidemie. Bei dem Rochusfest war sogar Goethe dabei, und er schrieb später darüber. Dieser Goethe scheint viel herumgekommen zu sein. Kein Wunder, dass er immer mal wieder ruhen musst. So gibt es denn auch einen Aussichtspunkt nordöstlich der Kapelle, von wo aus er auf den Rhein hinabgeblickt haben soll. Der Kapelle half das nicht viel, 1889 brannte die Kapelle nach einem Blitzeinschlag nieder. 1893 bis 1895 entstand dann in neugotischem Stil die jetzige Kapelle.
Kirchen hatten es wie so viele Gebäude in Rheinhessen nicht einfach. Kaum kam irgendeine Pest oder eine andere Epidemie, so dass man endlich eine Kirche bauen konnte, schon kamen irgendwelche Truppen (wahlweise die Franzosen, die Österreicher, die Deutschen, die Schweden oder sogar die Bayern) und schossen sie kaputt. Oder ein Pulverturm explodierte und beschädigte die Kirche. Wenn gerade keine Truppen zur Hand waren, dann fuhr der Blitz ins hölzerne Gebälk, und alles brannte nieder.
Die barocke Musik im Radio passte wohl doch nicht so richtig zur neugotischen Kapelle. Immerhin gibt es eine barocke Rochusstatue über dem Hochaltar, die nach dem Brand gerettet wurde.
Auf der Suche
Um 5:23 soll laut The Photographer’s Ephemeris vom Parkplatz aus sichtbar die Sonne über der Kirche aufgehen. Kurz nach 5 Uhr stehe ich auf dem Parkplatz und sehe vor allem eines: Laub, das den Blick auf die Kirche verdeckt. Na gut. Wo Wald und Bäume sind, da ist im Juni meistens auch Laub. Aber muss das Laub ausgerechnet jetzt hier sein? Ein bisschen nervös werde ich schon. Wie und wo soll ich da den Sonnenaufgang fotografieren?
Vom Wagen auf dem Parkplatz aus stürme ich über einen kleinen Weg in die Weinberge. Mist, es wird immer heller. Zumindest sehe ich, wohin und worüber ich stürme. Dann ist da ein Weg, der parallel zum Rochusberg in Richtung Osten und auf das Oblatenkloster hin verläuft. Das passt, dann verdecken zumindest die ganzen Rebstöcke mit ihrem Laub (Laub!) mir die Sicht in Sonne nicht. Ich bin etwas weiter weg von der Rochuskapelle, als ich das vorhatte. Und die Sonne wird auch nicht direkt über der Kapelle aufgehen sondern ein ganzes Stück rechts davon (The Photographer’s Ephemeris).
Im Osten wird der Himmel immer rötlicher. Ich stelle meinen Rucksack ab und hole die Kamera, das Stativ und die Thermoskanne mit dem Kaffee heraus. Kurz darauf ist die Kamera montiert. Jetzt bin ich doch noch gut in der Zeit. Ich schnappe mir die Thermoskanne und schlürfe Kaffee in den Weinbergen. Meine rote Mütze muss ich aber absetzen. Hier wimmelt es von kleinen Fliegen, und irgendwie scheinen sie von der roten Farbe angezogen zu werden. Jedenfalls hilft es, dass ich die Cap absetze und auf den Boden werfe. Schon sind die lästigen Geister weg.
Im Osten schimmert es immer rötlicher. Während ich da so stehe, fallen mir immer wieder Flugzeuge auf. Der Frankfurter Flughafen wirft seine Schwärme in den Himmel. Wenn ich jedoch nicht nach oben sondern nach vorne schaue … da vorne … da unten … da ist der Rhein (Google Maps 3D).
Das Oblatenkloster St. Rupert
Vor mir läuft der Weg auf das Oblatenkloster St. Rupert, eine Filiale des Oblatenklosters in Mainz, zu. In Sachen Orden und Kloster kenne ich mich fast gar nicht aus. Bei Oblaten denke ich daher zunächst an „Kalte Hunde„, die meine Oma und meine Mutter immer mit Oblaten und nicht mit Keksen herstellten, aber da lag ich wohl … na ja, doch nicht so ganz … falsch. Hostien sind auch Oblaten.
Eine Oblate [ɔpˈlaːtə] (in Österreich meist mit Betonung auf dem „O“; von lat. oblatum, „dargebracht“) ist ein dünnes Gebäck, das zum menschlichen Verzehr und als Siegelmaterial verwendet wird. Man stellt Oblaten aus einer flüssigen Masse her, die ausschließlich Wasser, Mehl und Stärke enthält, backt sie wie Waffeln zwischen heißen Eisen und schneidet oder stanzt sie in runde oder rechteckige Stücke.
(Seite „Oblate“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 12. Januar 2017, 13:19 UTC. (Abgerufen: 28. Juni 2017, 11:20 UTC))
Doch hier, auf dem Rochusberg, geht es um die Oblaten der Unbefleckten Jungfrau Maria:
Die Oblaten der Unbefleckten Jungfrau Maria (lat. Oblati Mariae Immaculatae; Ordenskürzel: OMI) sind ein missionarischer Orden der katholischen Kirche. Er wurde 1816 vom heiligen Eugen von Mazenod gegründet. Die Mitglieder werden auch Oblatenmissionare oder in Deutschland „Hünfelder Oblaten“ genannt.
[…]
Der Name „Oblaten“ kommt von lateinisch oblatus, „hingegeben, dargebracht“. Der Oblate ist einer, der in einer Ordensgemeinschaft sein Leben hingibt für Gott.
(Seite „Oblaten der Unbefleckten Jungfrau Maria“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 27. April 2017, 09:44 UTC. (Abgerufen: 26. Juni 2017, 15:03 UTC))
Überhaupt ist hier eine sehr kirchliche Gegend. Es gibt sogar den Rheinhessischen Jakobsweg, der von der Binger Burg Klopp über den Rochusberg bis nach Worms führt.
Sonnenaufgang über Rochuskapelle, Oblatenkloster St. Rupert und Rhein
Unten, in der Rheinebene und unterm Horizont, bildet sich der erste Dunst. Der Horizont ist blutrot. Die Sonne schiebt sich langsam und doch gewaltig über die Ausläufer vom Taunus und färbt den Vater Rhein rot. Durch eine dünne Wolkenschicht lässt sich die Sonne nicht aufhalten. Höher, immer höher steigt sie. Wie ein Schwarm lauter kleiner Wölkchen schiebt sich eine Formation von links weiter über den Himmel. Weit oben wird der Himmel langsam blau. Wie Götterboten ziehen die Flugzeuge ihren Schweif hinter sich her.
Schiffe tuckern gemächlich auf dem Rhein. Die Wolken beginnen sich zu vermehren, doch die Sonne können sie noch nicht vertreiben. Sie wird gelber und heißer, aber sie bleibt. Und noch lange bleibt der rötlich-orangene Teint des Himmels.
Hier bin ich wohl, hier bleibe ich.
Zumindest noch ein paar Minuten. Irgendwann packe ich meinen Rucksack und laufe zur Rochuskapelle. Dort beginne ich eine Wanderung rund um den Rochusberg.