Am 2. Dezember 2017 wechseln sich am Wartbergturm Alzey unsichere, magische und irritierende Momente ab, während ich auf Turm, Wolken, Sonne und Tal starre. Es ist Zeit für mein zwölftes #12SunriseRheinhessen.
Es ist 8:04 Uhr am 2. Dezember, und ich bin nervös. Mein zwölftes Sonnenaufgangsfoto ist „fällig“. Die Zeit könnte knapp werden, stehen doch Weihnachten und das Jahresende an. Das Wetter scheint heute auch nicht so berauschend zu sein. Aber ich bin dennoch eine knappe halbe Stunde von Selzen hierher gefahren, auf den Wartberg bei Alzey. Es ist kalt, aber ich habe mich mit Handschuhen, langen Unterhosen und mehrlagigen Kleidungsstücken eingerichtet.
Ich stehe auf einem Acker auf dem Wartberg. Durch Alzey hindurch und dann die L 401 hinauf war ich gefahren. Dann habe ich erst einmal den kleinen Feldweg verpasst. Ein paar hundert Meter später hatte ich gedreht, war zurückgefahren und war dann auf den Feldweg in Richtung Wartbergturm abgebogen. Da ich den Wartbergturm auf den Fotos haben wollte, hätte ich einfach am Feldweg anhalten und aussteigen können. Blöd, wenn jemand mit seinem Wagen dann hier entlang gewollt hätte.
Also bin ich um das kleine bewachsene Geländestück herumgefahren. Vielleicht will ich noch einmal auf den Turm, also stieg ich kurz aus und rüttelte an dem Türgitter. Verschlossen. Dann halt nicht. Ich fuhr ein Stück zurück zum Kopfstück und stellte den Wagen in einer Einbuchtung ab. Dann packte ich meinen Rucksack mit Stativ und weiteren wichtigen Ausrüstungsgegenständen wie der Thermoskanne mit dem Kaffee. Ein Stückchen zurück den Feldweg und dann einfach quer rein. Zertreten konnte ich schließlich nichts, der Boden war und ist fest gefroren. Dann stellte ich das Stativ auf und montierte die Kamera. Jetzt stehe ich also hier und schaue auf die Wolken und den Wartbergturm.
Inhaltsverzeichnis
Wartbergturm Alzey
Dieser Wartbergturm ist einer von unzähligen, über ganz Deutschland verteilten Warttürme. Früher gab es noch viel mehr Warttürme, doch viele davon zerfielen oder wurden zerstört.
Als Wartturm, Warte, Warth, Wachtturm, Landwarte oder Burgwarte wird ein meist einzeln stehender, von Wall und Graben umgebener Beobachtungsturm bezeichnet.
[…]
Warttürme wurden in spätmittelalterlicher Zeit beispielsweise an Handelsstraßen als Zollstationen oder im Vorfeld von Städten errichtet, um durch Fahnen- oder Lichtsignale frühzeitig vor dem Heranrücken feindlicher Truppen zu warnen.
(Seite „Wartturm“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 21. Oktober 2017, 16:47 UTC. (Abgerufen: 14. Dezember 2017, 12:35 UTC))
Dieser Wartturm hatte einige Gelegenheiten, das Schicksal seiner unglückseligen Kameraden zu teilen. Im 15. Jahrhundert wurde er zum ersten Mal urkundlich erwähnt, doch 1620 wurde er prompt im Dreißigjährigen Krieg zerstört. 1668 folgte der – erste – Wiederaufbau. Im 19. Jahrhundert wurde er zwei Mal saniert. Im Zweiten Weltkrieg verließ ihn sein Glück wieder. Am 8. Januar 1945 zerstörte ihn ein amerikanischer Bomber. Der Legende nach war es eine Verwechslung des Piloten, der die aus dem Nebel ragende Spitze für den Kirchturm der Alzeyer Nikolaikirche hielt. Die Stadt selbst blieb im wesentlichen von Bombenangriffen verschont. 1960 dann erfolgte erneut ein Wiederaufbau. Und, schwups, zerstörte 1970 ein schwerer Sturm den Turm. Schon wieder. 1989 wurde dann sein Neubau eingeweiht. Seitdem steht der Turm auf dem Berg und hält, bislang (dreiMalAufHolzKlopf).
(Quellen: Stadt Alzey, Wikipedia und eine Tafel am Turm)
Hoffen auf die Sonne
Jetzt stehe ich also hier auf dem Feld und glotze grimmig auf die Wolkendecke und den Turm. Das geschieht mir einfach zu oft, das mit den Wolken. Immerhin scheint kein Sturm aufzuziehen, so dass ich wahrscheinlich ein paar Tage später erneut einen Versuch unternehmen kann. Vielleicht dann ohne Wolken aber mit dem Turm.
Und dann passiert es wieder. So oft stand ich da mit meiner Kamera und so oft riss die Wolkendecke auf. So wie jetzt auch. Na ja, bislang ist es mehr Hoffnung als eine wirkliche Lücke in der Wolkendecke. Zaghaft schiebt sich die Sonne in eine Lücke, als eine Spaziergängerin mit ihrem Hund von rechts in Richtung Turm läuft. Und kaum ist sie mit ihrem Hund hinter den Bäumen und Büschen verschwunden, rücke ich etwas näher an den Turm und die Sonne. Dann gibt sich die Sonne die Ehre und füllt die Lücke golden.
Das muss ich mit einem Kaffee feiern. Ich genieße ein paar Momente. Doch irgendwie sieht das etwas langweilig aus. Weißgrauer Bodenreif, dunkle Büsche, grauer Turm – und immerhin, eine goldene Sonne. Aber, na gut.
Ich packe mein Stativ mit der aufmontierten Kamera und gehe am Feldweg entlang zum Wagen. „Warum eigentlich nicht?“ frage ich mich. Ich schlage mich durch die Buschreihe auf das Grundstück.
Sonnenaufgang am Wartbergturm Alzey
Eine Mischung aus ein wenig Winter und ein wenig Herbst, eine Sonnenschicht, der Turm, und die Sonne brennt durch die Bäume. Laub liegt auf der Wiese. Der Himmel scheint noch ein wenig mehr aufzureißen.
Schade, dass das Türgitter abgeschlossen ist. Neben dem Turm trete ich auf den Feldweg und laufe ein wenig in Richtung Osten und das Weidasserbachtal. Die Stimmung hat etwas Mystisches. Dunkle Wolkenfetzen, sie verdecken die Spitzen der Windräder. Weißer Puderzucker auf den Feldern und dem Boden. Leichter Dunst im Tal.
„Das hat was! Wie im Januar!“ sinniere ich. Damals im Januar, bei meinem ersten #12SunriseRheinhessen, da war die Stimmung so ähnlich. Dunkle Wolken, Raureif und leichter Schnee auf dem Boden. Irgendwie warte ich auch jetzt darauf, dass …
Jeden Augenblick müssen da unten Horden von Orks in Panik vor dem Licht flüchten. Ich kneife die Augen zusammen. So ein Quatsch, hier gibt es nur uns Rheinhessen. Pest, Hunger, Krieg und Orks haben hier nichts mehr zu suchen. Schon lange nicht mehr.
(Sonnenaufgang überm Selztal: Die Welt ist im Wandel #12SunriseRheinhessen)
Der Kreis schließt sich. Von Januar bis Dezember – Ein Jahr lang reiste ich durch meine Heimat und fing magische Augenblicke beim Erwachen des Tage sein. Gedankenversunken gehe ich zurück in Richtung Wartbergturm.
Inzwischen hat die Sonne an Kraft gewonnen. Wieder kommt da eine Spaziergängerin mit ihrem Hund. Vorhin hatte ich mitbekommen, dass sie ihr Auto am Turm abstellte, jetzt kommt sie zurück. Am Turm treffen wir uns.
Vielleicht will ich noch einmal hierher zurückkommen. Doch wenn ich eh nicht auf den Turm kann… Mir fällt ein, dass es für den Bismarckturm in Ingelheim Öffnungszeiten gibt, zu denen die Tür aufgeschlossen wird. Also frage ich die Spaziergängerin neugierig:
Ist das Türgitter eigentlich immer abgeschlossen? Oder wird der Turm ab und zu geöffnet?
Sie schaut mich etwas irritiert an.
Wieso abgeschlossen? Der Turm ist doch immer auf?
Jetzt bin ich irritiert. Ich deute auf das geschlossene Türgitter, das vom Feldweg aus deutlich zu sehen ist:
Also vorhin war das Türgitter abgeschlossen, ich habe daran gerüttelt.
Jetzt nickt sie verständnisvoll. Ich will mich gerade bedanken und verabschieden. Da meint sie freudig:
Der Eingang ist auf der anderen Seite, hinter dem Turm!
Mein Blick muss unbezahlbar sein. Sie meint, ich solle es einfach mal auf der anderen Seite probieren, das Gitter müsse offen sein. Dann bedanke ich mich bei ihr und verabschiede ich mich. Sie packt ihren Hund ins Auto und fährt los. Und ich stürme auf die andere Seite des Turmes.
Auf dem Wartbergturm
Ich nehme mir nicht die Zeit, mein Stativ zusammenzuschieben, sondern stürme damit so die Treppe hinauf. Als ich oben bin, bin ich platt. Nicht so sehr von den Treppenstufen sondern von dem Ausblick. Jeden Augenblick erwarte ich, Orks aus dem Weidasserbachtal entfliehen zu sehen.
Den Blick über Alzey finde ich gar nicht so faszinierend.
So mache ich haufenweise Fotos von der Sonnenseite.
#12SelztalRheinhessen
Das Jahr ist fast vorbei. Mein Projekt ist beendet.
Viele magische Augenblicke habe ich beim Erwachen des Tages an besonderen Orten im Land der tausend Hügel und der Reben eingefangen. Die fotografische Reise führte mich in Geschichte und Gegenwart Rheinhessens mit seinen Kirchen und Wegen, Tälern und Hügeln. Für zwölf mystische Momente der Ruhe zwischen 5 und 8 Uhr am Morgen reiste ich ein Jahr im Wandel der Jahreszeiten durch die Weinerlebnisregion Rheinhessen und entdeckte meine Heimat neu.
Bald beginnt ein neues Jahr, ein neuer Zyklus. Ich freue mich auf mein neues Projekt.
Über 60 Kilometer windet sich die Selz zwischen den Hügeln und Reben Rheinhessens von Orbis aus bis nach Ingelheim, wo sie in den Rhein fließt. Ein Jahr lang werde ich die Selz in ihrem Tal auf ihrer Reise durch Rheinhessen im Wandel der Jahreszeiten begleiten.
#12SelztalRheinhessen