Ich bin gekommen, um den Sonnenaufgang über Mainz und dem Dom um 5:38 Uhr zu fotografieren. Klarer Himmel, gute Sicht – und doch verschiebt wieder eine lästige Wolkenschicht über dem Horizont den Sonnenaufgang um ein paar Minuten.
Es ist Mittwoch, der 17. Mai. Das weiß ich, weil ich eben auf den Wecker gestiert habe. Deswegen weiß ich auch, dass es ziemlich früh ist, denn der Wecker schrillte eben um 4:20 Uhr. Wie konnte ich nur so blöd sein, im Januar dieses Projekt zu beginnen, ohne an die Jahresmitte zu denken (oder habe ich das, und habe es ignoriert?). Denn Tag für Tag, Morgen für Morgen geht die Sonne bis zum 21. Juni jedes mal etwa 2 Minuten früher auf. Und damit muss ich immer früher aufstehen, um selbige beim Aufgang fotografieren zu können.
Immerhin, für diesen Monat habe ich mir den Mainzer Dom als Opfer für mein Foto ausgesucht. Ich brauche also nur in Selzen mein Auto zu starten und in etwa 25 Minuten flugs der Rheinhessenstraße bis nach Mainz zu folgen. Zumindest einen Vorteil hat die frühe Uhrzeit: Der Berufsverkehrsstau hat noch nicht begonnen. Und meine Sachen wie Kamera, Rucksack, Thermoskanne habe ich mir gestern Abend noch zurecht gelegt. Wenig überraschend ändert das nichts daran, dass ich müde bin.
Egal, raus aus den Federn. Kaffee aufsetzen, ab ins Bad und danach die Thermoskanne füllen und den Rucksack kontrollieren. Um 5 Uhr sitze ich im Auto und fahre los. Es dämmert bereits. Das mit der Parkplatzsuche könnte kritisch werden. Dort oben, am Gautor, ist alles Anwohnerparken oder mit Parkschein. Doch dann, an der Haltestelle „Am Gautor“ ist ein Platz auf dem Parkstreifen frei. Bis um 8 Uhr bin ich schon längst wieder weg. Raus aus dem Wagen und im Trab zum Kästrich.
Inhaltsverzeichnis
Der Kästrich
Dort, auf dem Kästrich, war ich vor ein paar Tagen schon einmal. Ich hatte einen Termin in Mainz und suchte anschließen nach einer Stelle, um den Sonnenaufgang über Mainz und dem Dom zu fotografieren. Die Stephanskirche erwies sich leider nicht als praktikabel. Nur oben im Turm hätte ich Sicht auf den Mainzer Dom gehabt. Aber im Dunklen durch die sehr enge Treppe zwängen? Und wer hätte mir zur Un-Uhrzeit aufgemacht? Als ich dann weiter ging, fiel mir der Kästrich ein.
Der Kästrich ist ein Gebiet in der Mainzer Oberstadt sowie der Name einer Straße, die durch das Gebiet führt. Der heutige Name leitet sich fast unverändert von dem lateinischen Wort castrum für Lager ab und weist auf den ehemaligen Standort des römischen Legionslagers in Mogontiacum hin.
(Seite „Kästrich“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 25. Oktober 2015, 11:04 UTC. (Abgerufen: 25. Mai 2017, 16:28 UTC))
Dort oben sind sowohl die Event-Location Kupferbergterrasse (früher zur Sektfirma Kupferberg gehörend) als auch die Wohnanlage „Auf dem Kästrich“. Die Wohnanlage gibt es seit etwa 20 Jahren, früher befand sich da auch die Mainzer Aktien Bierbrauerei. Die Wohnanlage hat scheinbar eine bisher kurze aber auch bewegte Vergangenheit mit Mängeln und Sanierungsstau sowie einem Rechtsstreit zwischen dem Immobilienriesen Corpus Sireo und Mietern der Anlage. Ob das immer noch so ist? Keine Ahnung, ich will ja keine Wohnung mieten sondern nur Fotos machen.
Es ist eine der wenigen Stellen, von denen aus der Sonnenaufgang über Mainz und dem Dom gut zu sehen ist. Die Bonifatiustürme am Bahnhof, das Ministerium des Innern und des Sports in der Schillerstraße sowie das Hochhaus am Münsterplatz – die wären in Frage gekommen. Doch dann hätte ich außer einer Genehmigung auch jemanden finden müssen, der mich um 5 Uhr dort hinein und hinauf gelassen hätte.
So trabe ich jetzt also in der Dämmerung von der Gautorstraße zum Kästrich. Dann stehe ich rum und glotze in Richtung Nord-Osten. Der Himmel ist nahezu klar. Aber natürlich, natürlich, natürlich ist im Nordosten mal wieder, mal wieder, mal wieder eine Wolkenschicht direkt über dem Horizont. Die Schicht wird zum Osten hin zwar dünner, aber sie verschwindet leider nicht. Am Meeresstrand würde mir das nicht so oft passieren wie hier in Rheinhessen. Doch dass wir hier einen Küstenweg hatten, ist schon eine Zeitlang her.
Der Himmel und die Luft sind erstaunlich klar. Der Horizont ist blutrot bis orange.
Links vom unübersehbaren Dom, in der Verlängerung der Emmerich-Josef-Straße, kann ich den Turm und das Dach der evangelischen Kirche St. Quintin sehen. Noch weiter links erkenne ich neben dem viereckigen, fast quadratischen Bau der LRP Landesbank Rheinland-Pfalz sogar die Doppeltürme der katholischen Kirche St. Peter. Wieder ein Stück weiter links schaut die prägnante Kuppel der evangelischen Christuskirche empor. Noch weiter links, recht nahe, drängt sich das Hochhaus am Münsterplatz vor den Taunus in der Ferne.
So klar die Luft und gut die Sicht auch sind: Mir wird klar, dass ich die Sonne aufgrund der Wolkenschicht direkt über dem Horizont um 5:38 Uhr leider noch nicht sehen werde. Dann geht die Sonne eben etwas später über den Wolken auf.
Inzwischen habe ich Routine. Stativ aufstellen, Kamera aufschrauben, Lage und Perspektive kontrollieren, Stelle korrigieren, Thermoskanne öffnen und Kaffee einschenken, Selfie mit mir und der Kamera machen (ups, das war wohl zu dunkel). Dann immer mal wieder mit dem 2-Sekunden-Selbstauslöser Fotos machen. Diesmal versuche ich es komplett im manuellen Modus. Bisher benutzte ich immer die Zeitautomatik (Blende einstellen, die Kamera wählt die Zeit aus). Später werde ich sehen, dass die Bilder etwas zu dunkel wurden. Ich hätte eine längere Belichtungszeit wählen sollen.
Sonnenaufgang über Mainz und dem Dom
Endlich, gegen 5:55 Uhr, drängt sich die Sonne über die dünne Wolkenschicht. Da ist er endlich, der Sonnenaufgang. Ich schaue nach links und ärgere mich über das Hochhaus am Münsterplatz.
Auf einmal merke ich, dass ich nicht mehr alleine bin. Irgendwo hinter mir bewegt sich etwas, bewegt sich jemand. Vorsichtig schiele ich über meine Schulter. Ein Mann mit einer Kamera in der Hand nähert sich – und fotografiert, na was wohl, den Sonnenaufgang. Wir lächeln uns an. Dann bittet er mich auf englisch, ihn und den Sonnenaufgang mit seiner Kamera zu fotografieren. Ich mache ein paar Fotos, und wir kommen ins Gespräch. Er ist aus Atlanta, Georgia. Seine Firma wurde von Boehringer Ingelheim übernommen, und jetzt ist er für eine Zeit lang hier in Rheinhessen. Es gefällt ihm hier. Das hätte ich ihm vorher sagen können, denn ich bin ja Rheinhesse…
Links vor mir ist eine Reiterfigur. Unter mir liegt Mainz (ach ja, ich bin ja schon in Mainz) mit dem Dom, der Christuskirche, diversen anderen Kirchen und ein paar einzelnen Hochhäuser.
Mit Hochhäusern hat es Mainz nicht so, es gibt nur wenige und auch keine wirklich hohen (außer vielleicht den Bonifatiustürmen und dem Hochhaus am Münsterplatz). Mainz ist eine Provinzhauptstadt, heißt es. Hochhäuser gehören hier nicht her.
Die Sonne steigt immer weiter und unaufhaltsam höher. So richtig dramatisch ist der Ausblick auch von hier aus nicht. Zum Aufregen haben wir die Fassenacht und Mainz 05. Das ist gut so, und das reicht.
Mer sinn Meenz.
Inzwischen ist es richtig hell. Unter mir ziehen Fußgänger, Jogger und Radfahrer vorbei. Ich packe meine Sachen in den Rucksack, setze ihn auf und gehe langsam zum Wagen zurück, nachdem ich noch einmal zum Kästrich hochgeblickt habe.
Vom vergeblichen Versuch, den Mainzer Dom zu besichtigen
Es ist der 22. Mai, knapp eine Woche später. Eben habe ich Manuela für einen Termin in Mainz abgesetzt. Ich gehe in die Altstadt und in der Augustinergasse zum Leichhof, dem früheren Domfriedhof. Ich gehe also sozusagen über Leichen. Den Dom kann ich hier gut sehen, denn auch heute ist klare Luft und gutes Wetter. Ich spaziere weiter zur Ludwigstraße und biege dort zum Domplatz ab.
Mitten auf dem Marktplatz und Domplatz steht eine der früher einmal 42 Heunensäulen:
Bei den Heunensäulen, auch Heunesäulen, handelt es sich um Rundstützen aus Sandstein, die wahrscheinlich im 11. Jahrhundert aus vorauseilender Geschäftstüchtigkeit in einem Steinbruch der Bullauer Berge bei Miltenberg bereits vor Auftragserteilung für den Mainzer Dom fertiggestellt wurden. Der Bauherr des Mainzer Doms hat sich jedoch wohl für andere Stützen entschieden, sodass die Rundstützen nie benötigt wurden. Es soll einmal 42 der Säulen gegeben haben, im 18. Jahrhundert waren noch 14, um 1960 noch acht bekannt.
Die heute noch erhaltenen Heunensäulen befinden sich an unterschiedlichen Orten. Die bekannteste von ihnen steht als Denkmal auf dem Markt in Mainz. Zwei weitere stehen in Nürnberg und München, eine andere an der Uferpromenade in Miltenberg.
(Seite „Heunensäule“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 7. Januar 2017, 14:21 UTC. (Abgerufen: 25. Mai 2017, 18:33 UTC))
Von der Heunensäule aus blicke ich in Richtung Dom und damit direkt auf den unscheinbaren Eingang auf der Nordseite des Doms (OpenStreetMap).
Der Markplatz ist nahezu menschenleer. Nichts ist von dem Gewusel an Ständen und Menschen an Markttagen zu sehen. Zielstrebig gehe ich zum Eingang und betrete den Dom.
Der Hohe Dom St. Martin zu Mainz ist die Bischofskirche der römisch-katholischen Diözese Mainz und steht unter dem Patrozinium des heiligen Martin von Tours. Der Ostchor ist dem Hl. Stephan geweiht. Der zu den Kaiserdomen zählende Bau ist in seiner heutigen Form eine dreischiffige romanische Pfeilerbasilika, die in ihren Anbauten sowohl romanische als auch gotische und barocke Elemente aufweist.
(Seite „Mainzer Dom“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 26. April 2017, 09:07 UTC. (Abgerufen: 25. Mai 2017, 18:54 UTC))
Wie so viele alte und große Kirchen hat auch der Mainzer Dom eine wechselhafte Geschichte hinter sich. Eigentlich ist so ein Dom immer erst nach Jahrhunderten einigermaßen fertig. Meistens wird er zwischendurch und auch später immer mal wieder schwer beschädigt oder sogar fast zerstört. Dem Mainzer Dom spielten Napoleons Truppen und die Mainzer Republik schwer mit.
In den Zeiten nach der Mainzer Republik diente der Dom als Heerlager bzw. Magazin, die Ausstattung wurde verkauft. Schließlich war der Dom selbst vom Abbruch bedroht. Dieses Schicksal wendete Bischof Joseph Ludwig Colmar mit Hilfe Napoleons jedoch ab. Colmar führte den Dom wieder seiner ursprünglichen Bestimmung zu. Dies beinhaltete auch umfangreiche Restaurierungsarbeiten, die sich bis 1831 hinzogen.
Im Zweiten Weltkrieg wurde er durch Bomben getroffen. Die Restaurierungsarbeiten zogen sich hin bis Mitte der Siebziger Jahre. Sie hören aber eigentlich nie auf. Ich kann mich nicht erinnern, in den letzten 35 Jahren den Dom ohne Gerüst gesehen zu haben. Auch jetzt sind vom Leichhof aus Gerüste zu sehen.
Im Innern wird gerade die elektrische Verkabelung erneuert, ein Schild weist darauf hin. Ein Foto mache ich noch, dann spricht mich ein Mann freundlich an. Er freue sich, dass ich den Mainzer Dom besuche. Der Dom sei allerdings erst ab 9 Uhr geöffnet, weil zuvor noch Messen seien. Ich stammele etwas wie „Oh…“, er geht weiter. Ich schaue auf die Uhr, es ist kurz nach 8 Uhr. Also raus aus dem Dom. Und da sehe ich dann die Tafel mit den Öffnungszeiten: Werktags von 9:00 bis 18:30 Uhr. Wer vorher lesen kann, ist klar im Vorteil.
Ich wende mich nach rechts zum Liebfrauenplatz. Auch hier steht eine Säule, die Nagelsäule:
Die Nagelsäule in Mainz ist eine während des Ersten Weltkrieges auf dem Liebfrauenplatz vor der Ostseite des Mainzer Domes errichtete Säule, die im Rahmen einer deutschen Propaganda- und Spendenaktion als Kriegsnagelung entstanden ist.
[…]
Jeder Spender durfte in das Holz einen Nagel einschlagen. Der kleinste Nagel kostete 50 Reichspfennig, der teuerste mit vergoldetem Kopf 20 Mark. Erster und prominentester Spender war die Familie des hessischen Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen: seine Frau und die beiden Prinzen schlugen die ersten Nägel ein. Das Geld kam der Kriegskinderfürsorge zugute sowie dem Verein für Ferienkolonien.
(Seite „Nagelsäule (Mainz)“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 16. Februar 2017, 16:01 UTC. (Abgerufen: 25. Mai 2017, 18:46 UTC))
Links neben dem Dom geht es in die „Domstraße“, ein etwas übertriebener Begriff für das kleine Gässchen. Doch ich weiß, ich kann den Öffnungszeiten ein Schnippchen schlagen. Denn hier geht es durch einen Eingang in den Kreuzgang des Mainzer Doms. Im Dom finden nur wenige durch den hinteren, linken Ausgang in den Kreuzgang. Ich mag Kreuzgänge, besonders, wenn das Wetter so schön ist. Also flugs hinein und ein paar Fotos gemacht.
Das war es dann auch schon mit meiner Dombesichtigung. Aber jetzt kenne ich die Öffnungszeiten. Vielleicht gehen wir einfach einmal samstags nach dem Markt in den Dom und besichtigen ihn. Ach ja: Samstags hat der Dom von 9:00 bis 16:00 geöffnet.
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Die Fotos sind im Flickr Fotoalbum „Mainzer Dom und Kreuzgang“.