Die Sonne lockte uns aus dem Haus. Von Haustür zu Haustür wanderten wir 16 km im Selztal den erweiterten Via Natura bis zur Bergkirche Udenheim, wo wir eine Vesper einlegten. Gegen Ende gönnten wir uns zum Sonnenuntergang eine Riesling-Schorle.
Es war ein Faulenzer-Samstagmorgen mit „Kaffee im Bett“, und doch hatten wir die ganze Zeit das schöne Wetter im Kopf. Irgendwann ließ uns unsere Unruhe nicht mehr in Ruhe. Doch wohin für eine Wanderung? Dabei wohnen wir doch in Selzen, gerade einmal 150 Meter von der Selz entfernt und damit mitten im Mittleren Selztal und am Selzbogen, wo die Selz von Süden kommend zwischen Hahnheim und Selzen einen Bogen macht, um dann nach Westen in Richtung Naturschutzgebiet Hahnheimer Bruch und Udenheim weiterzufließen. Warum also sich ins Auto setzen?
Manuela meinte, sie wollte schon immer einmal zur Bergkirche Udenheim wandern. So schnappte ich mir Outdooractive und klickte eine Tour zusammen, die uns zunächst an der Selz entlang zum Hahnheimer Bruch und von dort durch die Weinberge zur Bergkirche Udenheim führen sollte. Zurück wollten wir über die Höhen, durch den Udenheimer Graben und den Schornsheimer Graben dann nach Hahnheim, dort am Friedhof vorbei zur Selz und dann am Biotop vorbei nach Hause.
Manuela schmierte uns ein paar Brote, und ich füllte eine Thermoskanne mit heißem Filterkaffee für eine Vesper-Pause an der Bergkirche. Heimlich, still und leise füllte ich noch eine Überraschung für einen Sundowner ab.
Inhaltsverzeichnis
Via Natura Hahnheim
Unbewusst hatte ich eine Wegführung gewählt, die uns einen Großteil auf dem Via Natura von Hahnheim wandern ließ.
ViaNatura ist die Bezeichnung eines 9,4km langen Wanderweges durch das mittlere Selztal. Der Weg durchquert die Hahnheimer Gemarkung und folgt abschnittsweise dem Verlauf der Selz [..]
Wildromantische Einblicke in unterschiedliche Biotope mit (unzähligen und) teilweise sehr seltenen Tier- und Pflanzenarten zeichnen den Weg aus. Ein Abschnitt führt entlang des Hahnheimer Bruch, einem Vogelschutzgebiet von internationaler Bedeutung.
(ViaNatura Hahnheim – Outdooractive)
Aus den 9,4 km machten wir durch unseren Abstecher und „Aufstieg“ zur Bergkirche Udenheim über 15 km. Am Hahnheimer Bruch liefen wir einfach weiter nach Udenheim. Am Schluss kürzten wir dann die Schleife an der Selz ab und liefen stattdessen vom Landhandel Joh. Seemann direkt auf dem Weg am Christianshof vorbei und zurück über die Selz.
Unsere Wanderung ist große Strecken auf mit Asphalt oder Beton befestigten Wirtschaftswegen, aber große Abschnitte führen auch auf Feldwegen durch Weinberge oder auch an den Graben durch Wiesenwege.
An der Selz
Zunächst folgten wir der Selz auf ihrer rechten Seite bis zur Bahnhofstraße, die auf einer Auto- und ehemaligen Bahnbrücke die Selz überquert. Auf der anderen Straßenseite wechselten wir die Flussseite und wanderten an Hahnheim vorbei an der Selz weiter.
Am Wahlheimer Hof vorbei ging es dann entlang an Feuchtgebieten und auch am Hahnheimer Bruch vorbei.
Hahnheimer Bruch
In den Dreißigerjahren hatte man die Selz begradigt. Das war dann doch nicht immer so gut. Die Fließgeschwindigkeit stieg, es kam weiter zu Überschwemmungen, und die Natur litt. Mit dem Projekt Blau Plus der Landesregierung werden Fluss- und Bachabschnitte renaturiert. An drei Stellen entlang der Selz wurde der Damm geöffnet, und so entstand das Naturschutzgebiet Hahnheimer Bruch. Bei Hochwasser fließt das Wasser Selz in den Bruch hinein, der gibt es später mit einer deutlich niedrigeren Fließgeschwindigkeit wieder in die Selz zurück.
Momentan, zu dieser Jahreszeit, ist nicht viel zu sehen (zumindest von den offen zugänglichen Stellen aus). Doch normalerweise sind hier Wildgänse, Enten, Haubentaucher und allerlei anderes Getier zu sehen. Ein Abstecher zur Seite und an den Rand brachte uns an eine kleine versteckte Stelle. Wenn ich bei einem #SunriseRun hier eine Pause mache, fühle ich mich wie in den Everglades von Rheinhessen.
Weinberge auf der Udenheimer Höhe
Anstelle den Via Natura abzubiegen, liefen wir den Selztalradweg weiter in Richtung Udenheim und ignorierten dann sein Abbiegen nach Sörgenloch. Wir verließen Beton, betraten Erde und die Weinberge auf der Höhe. Erstaunt nahmen wir die vielen noch hängenden Trauben zur Kenntnis. Ein Winzer, der im Weinberg mehrere beschädigte Stickel (Holzpfosten zum Spannen der Drähte, an denen sich die Weinreben angeln) ersetzte, meinte mit freudiger Miene „Eiswein“. Wir vermuteten aufgrund seines starken Akzentes allerdings, dass es ein fleißiger Helfer und nicht der Winzer selbst gewesen sein müsste. Jedenfalls dürfte die exponierte Lage auf der Höhe dafür sorgen, dass es im Winter dort relativ kalt ist. Ob es jedoch zu einem Eiswein reichen wird … ich gehe eher davon aus, dass hier Beerenauslesen gewonnen werden.
Bergkirche Udenheim
Durch die Weinberge gelangten wir zur Bergkirche, die hier oben (in der Tat ein Berg für rheinhessische Verhältnisse) einen schönen Anblick bietet. Sie ist komplett von einer niedrigen Mauer umgeben, an der südlichen Außenseite wachsen Disteln. Im Innengelände streunten wir etwas herum (die Kirche ist leider normalerweise verschlossen), um uns dann auf einer Bank und mit Blick auf die Kirche für eine Vesper niederzulassen.
Simultaneum
Die Bergkirche in Udenheim gehört seit dem 2. Juli 1959 der evangelischen Kirchengemeinde alleine. Zuvor gab es das 1685 zwangsweise eingeführte Simultaneum mit der katholischen Kirche. […]
(Seite „Bergkirche Udenheim“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 29. Juni 2019, 11:26 UTC. (Abgerufen: 14. November 2020, 18:37 UTC))
Ja, das Simultaneum. Sehr viele Kirchen in Rheinhessen waren Simultankirchen, in denen sowohl die Katholiken, als auch die Evangelen ihre Gottesdienste abhielten. Meistens waren die Evangelen in der starken Überzahl. Oft hatten sie das Langhaus, die Katholiken den kleineren Chor. Oft dauerte es Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte, bis sich die Katholiken eine eigene Kirche, so wie in Udenheim, leisten konnten. Auch heute gibt es in Rheinhessen noch Simultankirchen. Die mir einprägsamste ist die Simultankirche St. Rufus in Gau-Odernheim, wo sogar der Turm weder den Katholiken noch den Evangelen, sondern der Gemeinde gehört.
In Udenheim wurde das Simultaneum wurde nach fast 300 Jahren durch einen Vertrag aufgelöst, die Bergkirche wurde rein evangelisch. Die Diözese Mainz kaufte das mindestens 800 Jahre alte Udenheimer Kruzifix, das seitdem in der Godehart-Kapelle im Mainzer Dom aufbewahrt wird.
Die Sage von den drei Schwestern
Zur Bergkirche Udenheim gibt es noch eine Sage:
Einer Sage zufolge wurde die Kirche von einer von insgesamt drei Schwestern erbaut. Jede der drei erbten so viel Vermögen, dass zum Aufteilen der Münzen das Scheffelmaß angewandt wurde. Und alle drei beschlossen, von ihrem Erbe einen Teil für einen Kirchenbau zur Verfügung zu stellen und die Bauwerke auf Anhöhen zu errichten, so dass von jedem Gebäude zu den beiden anderen gesehen werden kann. Eine der drei Schwestern war blind, und so beschlossen die beiden anderen, sie zu übervorteilen, indem sie das Hohlmaß jedes Mal umdrehten, wenn die blinde Schwester ihren Anteil bekam. Als diese später herausbekam, dass sie übervorteilt wurde, verfluchte sie ihre beiden Schwestern, deren Kirchen sich auf dem Petersberg, St. Peter, sowie dem Nazarienberg bei Mommenheim (die 1194 erwähnt wurde) befanden, dass diese nicht für die Ewigkeit stehen bleiben sollten, beide sind während des Dreißigjährigen Krieges zerstört worden. Die von der blinden Schwester erbaute kleinere Bergkirche gibt es hingegen noch heute.
(Seite „Bergkirche Udenheim“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 29. Juni 2019, 11:26 UTC. (Abgerufen: 14. November 2020, 18:37 UTC))
Weitere Informationen zur Bergkirche gibt es bei Regionalgeschichte.net: Die Bergkirche bei Udenheim.
Udenheimer Graben
Schließlich machten wir uns auf den Rückweg. Durch die Weinberge ging es hinunter zum Udenheimer Graben, dem wir einige Zeit in Richtung Hahnheim folgten.
Schornsheimer Graben
Wir wandten uns nach rechts, und dann ging es zwischen Feldern auf die Höhe und dann hinunter zum Schornsheimer Graben. Inzwischen waren wir auch wieder auf dem Via Natura.
Via Natura oder ViaNatura?
Hm, ich habe immer „Via Natura“ geschrieben. Tatsächlich jedoch steht auf Schildern und auch auf Outdooractive „ViaNatura“. Das ist halt so, dass entgegen der Rechtschreibung möglichst kreative Eigennamen als Markensymbol in Groß-Klein-Zusammen-Auseinander-Schreibgedöns erfunden werden. Irgendwann, vor ein paar Jahrzehnten, habe ich für journalistische Schreibe gelernt: Wir schreiben und plappern das Marketingsprech von Organisationen nicht nach, wir schreiben Deutsch. Nix mit „DeREntSPANNende“ oder so.
Jedenfalls hat uns der Via Natura gefallen. Inzwischen stand die Sonne ziemlich tief, was im im Schornsheimer Graben eine wunderbare Stimmung schaffte.
Vor Hahnheim bogen wir nach rechts ab, gewannen etwas Höhe und wanderten an Hahnheim vorbei, querten am Friedhof die Landstraße nach Köngernheim und stießen erneut in eine Senke vor – diesmal zur Selz.
Sundowner am Biotop
Direkt vor der Selz liegt ein kleines feines Biotop mit einem Teich, Schilfröhricht, Obstbäumen und zwei Bänken. An einem Baum hing sogar noch ein einsamer aber knallroter Apfelbaum (Mist, den habe ich vergessen zu fotografieren).
Erschöpft (hehe, natürlich tat ich nur so) wandte ich mich an Manuela und seufzte: „Ich muss mich mal setzen. Willst Du auch etwas trinken?“
Dann holte ich mit verschwörerischem Blick die Hydro-Flask-Thermoskanne aus dem Rucksack. Genüsslich öffnete ich den Verschluss und nahm einen großen tiefen Schluck Riesling-Schorle. Während die Sonne über Rheinhessen unterging, gab ich Manuelas verzweifeltem Blick nach und ihr gerne einige große tiefe Schlucke Riesling-Schorle ab. Der Rest ist Geschichte.
Zurück ging es dann auf dem direktem Wege am Landhandel und am Christianshof vorbei und nach Hause zu ein paar weiteren Schlucken Riesling beim Abendessen.