Immer wieder sehen wir Ballons über Rheinhessen fahren. Dieses Mal sind wir selbst in einem Ballon über dem Selztal und fahren bei fantastischem Wetter mit den Freiballon-Sportfreunden Harxheim/Mainz an der Selz entlang von Selzen über Köngernhein und Undenheim bis fast zum Petersberg.
Dienstagmorgen, der 31. Juli 2018. Es ist halb sieben, und ich kann meine klammheimliche Freude kaum noch unterdrücken. Seit Tagen weiß Manuela, dass wir heute etwas unternehmen. Gestern noch habe ich ihr eine Packliste gegeben mit so profanen Einträgen wie „kurze Hose“, „Sonnenbrille“ und „stabile Schuhe“. Vorhin hat sie dann überlegt, ob sie nicht die Wanderstöcke mitnehmen solle. Aber wir würden ja irgendwo hinfahren. Bis ich vor dem Auto stand, überlegte, und dann meinte „Ach, lass uns doch laufen.“ Dieser Blick, einfach unbezahlbar. Natürlich war Manuela erneut verunsichert, ob sie nicht doch die Wanderstöcke brauchen würde. Wir überquerten die Selz und liefen am Christianshof vorbei in Richtung Hahnheim.
Und das alles nur, weil wir am 2. August Hochzeits- und Jahrestag haben. Eigentlich machen wir keine große Aktion daraus, meistens gehen wir einfach nur gut essen. Vor ein paar Wochen jedoch erkundigte ich mich … aber davon gleich. Manuela hatte ich vor ein paar Tagen vorgewarnt. Schließlich musste sie im Büro abklären, ob sie den Vormittag würde frei nehmen können.
Jetzt gehen wir gerade in Hahnheim am Johann Seemann Landhandel vorbei. Manuela weiß offensichtlich noch nicht, was ich vorhabe. Dann erscheint plötzlich mit den typischen Brennergeräuschen ein Heißluftballon über dem Landhandel.
Manuela staunt und macht sofort Fotos mit dem Smartphone. Ich denke, dass sie jetzt Bescheid weiß. Daher schnappe ich mir mein Smartphone und spiele das Lied ab:
Jedes Projekt braucht einen Namen oder ein Codewort. Für den Kalender und die Packliste habe ich die Bezeichnung #UnternehmenBluemchen eingetragen. Mit „Blümchen“ würde sie wohl nicht so schnell eine Ballonfahrt verbinden, dachte ich (richtigerweise). Jetzt aber… scheint Manuela immer noch auf der berühmten Leitung zu stehen. Also spiele ich im Weitergehen das Lied erneut ab. Und während wir den Radweg nach Köngernheim abbiegen, dämmert es ihr so nach und nach. Aus meiner klammheimlichen wird eine begeisterte Freude darüber, dass ich ihr eine Überraschung und Freude bereiten kann.
Das Wetter ist genial. Als wir auf der kleinen Brücke über die Selz gehen, blicken wir auf einen blauen Himmel – und darunter, auf der Wiese, ist das Sommercamp der Ballonfahrer-Freunde. Der erste Ballon ist schon in der Luft, zwei weitere werden bereit gemacht. Manuela ist hin und weg. Wir gehen über die Wiese und finden Andreas und Philipp. Andreas Guddat ist der Vorsitzende der Ballonfahrer-Freunde, mit ihm hatte ich telefoniert.
Die Freiballon-Sportfreunde Harxheim/Mainz 1983 haben auf ihrer Startwiese bei Selzen regelmäßig ihr Sommercamp. Dabei gibt es oft ein „Ballonglühen“ am Abend, bei dem die Gasbrenner der stehenden Ballone passend und im Rhythmus zu Musik gezündet werden. 2016 waren Manuela und ich bei Ballonglühen in Selzen dabei. Letztes Jahr gab es kein Ballonglühen, also hatte ich per E-Mail beim Verein für dieses Jahr nachgefragt. Leider würde es dieses Jahr zum Sommercamp kein Ballonglühen geben, da die Mindestzahl von sieben Ballonen nicht sichergestellt werden könne. Schade, dachte ich mir. Ein paar Tage später fiel mir auf, dass unser Hochzeitstag zur Zeit des Sommercamps sein würde. Also hakte ich nach, ob ich die Möglichkeit für eine Ballonfahrt hätte. Ein paar Mails und ein Telefonat später stand gestern endgültig fest: Das würde klappen. Zwar nicht an unserem Hochzeitstag, aber eben am 31. Juli. Heute nämlich.
Wir dürfen ganz entspannt beim Aufbau „unseres“ Ballons zuschauen. Wir machen Fotos, Manuela kann es immer noch nicht so richtig fassen. Schließlich ist es soweit. Manuela und ich halten die Ballonöffnung hoch, so dass der Ventilator Luft in den Ballon drücken kann. Sowie der Ballon etwas gefüllt ist, wirft Andreas den Brenner an. Es dauert nicht lange, und die heiße Luft hebt die Hülle hoch, bis der Ballon steht. Andreas steigt in den Ballon, dann dürfen Ilse (eine weitere Mitfahrerin), Manuela und ich einsteigen. Es ist gegen sieben Uhr, und es geht los. Wir heben ab und fahren los!
Ballonfahren bezeichnet die Luftfahrt mit Gasballon und Heißluftballon, speziell mit Freiballonen, da mit Fesselballonen (am Boden vertäut) nicht „gefahren“ werden kann.
(Seite „Ballonfahren“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 28. Juni 2018, 18:44 UTC. URL: (Abgerufen: 2. August 2018, 08:26 UTC) )
Es ist schon über 20 Grad warm. Keine einzige Wolke ist zu sehen, und die Luft ist klar. Wir haben fantastisches Wetter erwischt. Super! Eigentlich ist Winter die bessere Jahreszeit fürs Ballonfahren. Ein Ballon gewinnt Höhe durch den Temperaturunterschied zwischen drinnen und der Umgebungsluft. Hat es warme oder sogar heiße Temperaturen, dann braucht man viel Gas, und die Steiggeschwindigkeit ist niedrig. Deswegen kann man bei solchen Temperaturen wie heute nur am Morgen starten. Im Winter, bei Frost, klappt es dann auch gut erst um 10 Uhr. Durch den besseren Auftrieb reichen die Füllungen der Gasflaschen für längere, etwa doppelt so lange Fahrten. Wenn Andreas sechs Flaschen im Korb befestigt, schafft er im Winter schon mal über fünf Stunden. Heute haben wir vier Flaschen, jede fasst 20 Kilogramm Gas. Am Ende werden wir etwa 55 Kilogramm Gas verbraucht haben.
Es gibt weltweit noch sieben Manufakturen, die Körbe & Hüllen herstellen. Eine neue Hülle kostet je nach Größe etwa 30.000 €, sie hält 600-700 Fahrten. Gebrauchte Hüllen mit etwa 200 Fahrten gibt es bereits für um 5.000 €. Das liegt auch daran, dass die Zahl der Ballonfahrer abnimmt. Viele hören aus Altersgründen auf und verkaufen ihre Ausrüstung. Da es nicht so viel Nachwuchs gibt, übersteigt das Angebot die Nachfrage.
Die ganzen letzten Tage musste ich schon an den Song „Über den Wolken“ von Reinhard Mey denken. Auch jetzt – obwohl wir nicht im Flieger sitzen und es keine einzige Wolke gibt.
Über den Wolken
Muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
Alle Ängste, alle Sorgen
Sagt man
Blieben darunter verborgen
Und dann
Würde was uns groß und wichtig erscheint
Plötzlich nichtig und klein
Wir genießen die Ausblicke auf Donnersberg, Petersberg, Odenwald, Rhein-Main, Frankfurt, ZDF, Taunus, Feldberg, Bingen und Wißberg. Lediglich über der Rheinebene und dem Rhein-Main-Gebiet hat sich ein Dunstschleier gebildet. Je wärmer es wird, umso diesiger wird es dort. Das Brennergeräusch unterbricht immer mal wieder die Stille. Wenn Andreas den Brenner nicht betätigt, sinkt der Ballon schnell wieder ab. Zu hoch dürfen wir jedoch auch nicht. 450 Meter über dem Boden dürfen wir hier erreichen, wo doch der Frankfurter Flughafen in der Nähe ist. Gestartet sind wir auf der Wiese in einer Höhe von 120 Metern über Normall-Null.
Es gibt kaum Wind, deswegen fahren wir auch nicht schnell über dem Boden. Manchmal haben wir nur drei bis fünf Knoten Geschwindigkeit. Ein Knoten entspricht 1,852 Kilometern (jetzt könnt Ihr umrechnen…). Verschiedene Luftschichten können in Richtung und Geschwindigkeit abweichen, dadurch kann der Pilot den Ballon innerhalb gewisser Grenzen steuern. Richtung und Geschwindigkeit kann Andreas nur also nur über Steigen oder Sinken des Ballons durch den Brenner steuern. Am Tag vor einer Fahrt ermittelt er aufgrund der Wettervorhersagen, in welche grundsätzliche Richtung und mit welcher Geschwindigkeit der Ballon „getrieben“ wird.
Am Sonntag waren sie mit mehreren Ballonen gestartet und in Richtung Nierstein, zum Rhein hin, gefahren. Heute geht es die Selz entlang in Richtung Süd-Westen. Die Selz entspringt bei Orbis (in der Pfalz, ihr einziger Makel), fließt in Richtung Nord-Osten bis nach Selzen und Hahnheim, um dort in Richtung Nord-Westen abzubiegen, bis sie bei Ingelheim in den Rhein mündet.
Von der Startwiese aus überfahren wir zunächst Jordan’s Untermühle, Köngernheim und Undenheim (die Formulierung tut mir leid, aber Ballons fahren, sie fliegen nicht). Über Undenheim staunen wir, wie viele Pools es in den Gärten der Häuser gibt. Auch im Sommercamp habe ich einen Pool gesehen. Der sei für die Kinder, meint Andreas.
Ab und zu spricht Andreas übers Handy mit Philipp. Normalerweise benutzen sie ein Funkgerät, aber irgendwie klappt das heute nicht. Philipp sitzt am Steuer des Verfolgungsfahrzeugs. Da wir irgendwo mit dem Ballon runtergehen (müssen), fährt immer jemand mit einem Auto und einem Hänger hinterher, um den Ballon, den Piloten und die Mitfahrer aufzusammeln. Selbst wenn wir keine Funk- oder Mobilfunkverbindung hätten, könnte Phillip uns immer sehen. Wir sind hier schließlich nicht in den Bergen mit großen Schluchten oder Gipfeln. Außerdem gibt es hier in Rheinhessen viele Wege. Ein Vorteil des heißen Wetters ist, dass die Getreidefelder alle schon abgeerntet sind. Damit hat Andreas eine sehr große Auswahl an möglichen Landeplätzen.
An Friesenheim vorbei geht es zunächst an der Selz entlang. Es ist immer weniger Wind, manchmal scheint der Ballon an der Stelle zu schweben. Über den Brenner regelt Andreas die Höhe, dann findet er eine andere Luftschicht, und es geht wieder weiter. Die Selz will er auf jeden Fall noch überqueren. Vor uns sehen wir zwei gelandete Ballone, die einige Zeit noch die Hülle stehen lassen. Die Verfolger können dadurch die Ballone noch besser sehen.
Vorhin sind wir über die Weißmühle gefahren, und vor kurzem überfuhren wir die Pommermühle. Früher gab es sehr viele Mühlen in Betrieb. Manche davon wirken vernachlässigt, doch viele haben als Pferdehof, als landwirtschaftlicher Betrieb oder als Gasthof eine neue Bestimmung gefunden.
Nicht weit von uns ist der Petersberg, rechts davon ist Bechtolsheim. So langsam geht es abwärts. Andreas hat einen Landeplatz im Auge, dafür will er aber noch einen Graben überqueren. Fast sieht es so aus, als ob wir in den Graben fahren. Doch Andreas betätigt kurz den Brenner, unser Ballon hüpft über den Graben, Andreas zieht an einer Leine, um in der Hülle eine Lüftung zu öffnen, und dann landen wir sanft und fast senkrecht auf dem Weg hinter dem Graben, nur ein Stückchen auf einem abgeernteten Getreidefeld.
Als wir gegen halb neun landen, sind es schon über 34 Grad. Philipp ist schnell mit dem Verfolgerfahrzeug und dem Anhänger da. Ich mache schnell ein paar Fotos, und dann … bekommt Ilse ihr Saxophon aus dem Verfolgerfahrzeug und spielt zu unserem vorgefeierten Hochzeitstag „Over the Rainbow„.
Andreas hatte am Telefon schon eine Überraschung angedeutet, und jetzt freuen wir uns beide total!
Andreas und Philipp packen den Ballon mit Hülle, Korb und Ausrüstung zusammen und in den Anhänger, Manuela und ich dürfen ein wenig helfen. Zwischendrin stoßen wir noch mit Sekt an, und Andreas tauft Ilse und erhebt sie in den Adelsstand. Es war Ilses erste Ballonfahrt. Nachdem die Gebrüder Mongolfier das Ballonfahren erfunden hatten, gab es ein Verdikt des französischen Königs, dass nur Adlige die hohe Aufgabe des Ballonfahrens erfüllen durften. Schließlich jedoch wollte nicht jeder Adlige unbedingt beispielsweise als Artilleriebeobachter dem Beschuss gemeiner Soldaten ausgesetzt sein. Also hat man Bürgerliche die „unangenehmen“ Ballonfahrten erledigen lassen und sie (wenn sie es überlebten) einfach nachträglich in den Adelsstand erhoben. Auch wenn das Gesetz schon lange nicht mehr gilt, so hat sich der Brauch gehalten.
Im Verfolgerfahrzeug fahren wir dann alle gemeinsam wieder zurück zum Sommercamp der Ballonfahrer-Freunde. Von dort aus ist es für uns nur eine knappe Viertelstunde an der Selz entlang und im Schatten der Bäume bis nach Hause.
P.S. Manuela und ich sind übrigens Adelige, denn vor vielen, vielen Jahren (damals noch als Bürgerliche) sind wir schon einmal Ballon gefahren.
Hier ist nochmals der Link zu den Freiballon-Sportfreunden Harxheim/Mainz.
Diese und weitere Fotos gibt es im Album „Ballonfahrt über dem Selztal„.
Toller Bericht.
Deckt sich von den Empfindungen und den Luftbilder mit meinem Erlebnis im Mosbachtal.
Danke. Vor 18 Jahren haben wir das schon mal gemacht, einfach eine tolle Sache!