Von der Ortschaft Sankt Johann in Rheinhessen führt diese Wandertour auf den Wißberg, um ihn herum und wieder zurück. Herrliche Ausblicke und wunderbare Entdeckungen sowie ein Einkehren am Schluss machen die Tour zu einem Erlebnis.
Der Mai war ziemlich wechselhaft. Doch just, nachdem ich von Natascha Popp eine E-Mail über die Eröffnung Ihres WeinCafés in Sank Johann erhielt, zeichnet sich gutes Wetter für den letzten Maisonntag ab. Der Wißberg zwischen den Ortschaften Sprendlingen, Sankt Johann, Vendersheim, Gau-Weinheim, Wallertheim und Gau-Bickelheim ist ein dankbares Wandergebiet. Der größtenteils aus Kalkstein bestehende Plateauberg ist von Weinbergen umgeben und die Sicht auf Ortschaften und Täler ist fantastisch. Auf dem Plateau liegen der Golfplatz des Golfclubs Rheinhessen, das Weinberghotel Hofgut Wißberg und das Restaurant Gramms (das wir gerne als Einkehr benutzen).
Dieses Mal wollen wir das neue WeinCafé ausprobieren (siehe mein Bericht „Adlerhof Weincafé in Sankt Johann„). Deswegen parken wir den Wagen an der Marktstraße, kurz nach der Einmündung aus der Hindenburgstraße. Dort ist auf der linken Seite ein kleiner Parkplatz, auf dem einem Häuschen nach zu urteilen früher auch eine Bushaltestelle lag.
Sankt Johann, das als Weiler Megelsheim um 600 n.Chr. unweit einer untergegangen römischen Villa rustica entstanden war, brach mit der Erbauung der Wallfahrtskirche Sankt Johann Baptista um die Mitte des 14. Jahrhunderts eine bedeutende geschichtliche Zeit an.
Megelsheim verlagerte sich zur Kirche und wurde seit dem 15. Jahrhundert nach dem Kirchenpatron in Sankt Johann umbenannt. Aus der Wallfahrtzeit ist bis heute der St. Johanner-Markt überliefert, der am Wochenende nach dem 24. Juni (seit 1980 als Jahr und Weinmarkt) gefeiert wird.
(Sankt Johann – Verbandsgemeinde Sprendlingen-Gensingen)
Inhaltsverzeichnis
- Tourkarte auf Outdooractive
- Auf den Wißberg
- Tisch des Weines
- Kreuzkapelle Gau-Bickelheim
- Bergrutschgebiet und Holzkreuz
- Pfad und Orchideen
- Flora Incognita
- Schutzhütte Via Vinea und Standesamt
- Kräutergarten der Landfrauen
- Johanniskirche St. Johann
- Einkehr im WeinCafé
- Newsletter
- Neues aus Rheinhessen über Wandern, Genuss und Kultur
Tourkarte auf Outdooractive
Die Tour habe ich auf Outdooractive angelegt. Sowohl mit der Outdooractive-App, mit einem Ausdruck, als auch nach einem Download der GPX-Datei kann damit die Tour „Sankt Johann und Wißberg“ gewandert werden.
Alle Fotos im Flickr-Album „Sankt Johann und Wißberg wandern„.
Auf den Wißberg
Wir wandern über Marktstraße, Weedegasse und Im Kirchgarten aus Sankt Johann hinaus und dann zum Wißberg hinauf. Der blaue Himmel bietet einen wunderbaren Kontrast zur grünen Landschaft und der Ortschaft im Tal. Auf dem Weg nach oben und dann auch oben blühen gerade die Holunderbüsche.
Am Rand es Golfplatzes entlang (von dem man dort zunächst wenig sieht) wandern wir in Richtung Süden mit weiten Blicken, unter anderem auf die Ortschaft Gau-Weinheim, in der der schiefste Turm der Welt steht (nein, es ist nicht der in Pisa und auch nicht der Kirchturm von Suurhusen in Ostfriesland).
Tisch des Weines
Am Südostrand vom Wißberg, wo der Weg eine 90-Grad-Kurfe nach rechts macht, gibt es einen Tisch des Weines mit einer sehr guten Aussicht über die Hügellandschaft und auf Vendersheim, Gau-Weinheim und Wallertheim. Bei einer Rast lässt sich gemütlich die Aussicht genießen. Aufklappbare Tafeln informieren über die Umgebung. In den Sommermonaten lässt sich dort bei einem Frühstück der Sonnenaufgang bewundern.
Später sehen wir dann auch etwas vom Golfplatz und kommen am Hofgut Wißberg vorbei.
Kreuzkapelle Gau-Bickelheim
Entlang der Hangkante lugt stets die Kreuzkapelle Gau-Bickelheim durch die Rebstockreihen, bevor wir nach dem schönen Wingertshäuschen die Spitzkehre hinunter in Richtung Kreuzkapelle gehen.
Die Kreuzkapelle Gau-Bickelheim gehört zum Bistum Mainz. Die Kapelle ist bereits die Dritte an dieser Stelle, die Erste wurde 1755 eingeweiht, die heutige 1910.
Die Kreuzkapelle, aus Sandstein gebaut und mit einem roten Ziegeldach versehen, ist das Wahrzeichen der Gemeinde. Sie steht auf der unteren Hälfte eines wertvollen Weinberges am Wissberghang, die 1755 der „Oberschultheiß Johann Jakob Hees zu Gau-Böckelheim“ zum Bau einer solchen Kapelle zur Verfügung stellte. Sie wurde damals zu Ehren des heiligen Kreuzes geweiht und fortan pilgerten viele Gläubige zweimal pro Jahr an diesen Ort. Diese alte Kapelle wurde durch die kriegerischen Ereignisse im Verlaufe der Französischen Revolution bereits nach 40 Jahren zerstört. 1856/1857 begann man das zerstörte Gotteshaus wieder aufzubauen. Doch bereits Ende des 19. Jahrhunderts war der Bau vom Einsturz bedroht und musste 1893 abgebrochen werden. Die nun zwischen 1907 und 1910 errichtete Kapelle wurde in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts von Grund auf restauriert. Den Weg zur Kreuzkapelle, die ein häufig besuchter Wallfahrtsort ist, säumen vierzehn Kreuzwegstationen, die im Jahre 1862 errichtet wurden.
(Die Kreuzkapelle in Gau-Bickelheim – Regionalgeschichte.net)
Von Gau-Bickelheim aus führen vierzehn, 1862 erstellte Kreuzwegstationen zur Kreuzkapelle hinauf. Die Kapelle ist sonntags geöffnet:
- vom Sonntag nach dem 3. Mai bis zum 3. Sonntag im September
- Kreuzfest / Kreuzwallfahrt der Pfarrei: Sonntag nach dem 3. Mai
- 3. Sonntag im September
In dieser Zeit finden auch regional übergreifende Wallfahrten, Taufen und Hochzeiten statt.
An der Kreuzkapelle sehen wir Winzer, die gerade einen Ausschank vorbereiten. Von Mai bis September ist auf dem Gelände vor der Kapelle immer sonntags von 11 bis 16 Uhr Weinausschank.
Bergrutschgebiet und Holzkreuz
Am Hang entlang und zunächst durch die Weinberge führt uns die Tour wieder aufwärts und durch das Bergrutschgebiet hindurch zu einem Holzkreuz. Die Stelle mit Holzkreuz, Bänken und Kurztischen bietet eine gute Sicht auf die rheinhessische Hügellandschaft und sogar bis zum „Binger Loch“, dem Rheingau und auf das Niederwalddenkmal.
Pfad und Orchideen
Nach einem steilen Anstieg bleibt die Tour nur kurz oben, dann geht es schräg links zwischen Büschen einen Pfad hinab. Auf diesem Abschnitt lassen sich viele einheimische Orchideen entdecken (auf dem Pfad bleiben!), so wie beispielsweise das Purpur-Knabenkraut.
Das Purpur-Knabenkraut (Orchis purpurea) ist eine der größten heimischen Orchideen. Es gehört zur Gattung der Knabenkräuter (Orchis) und damit zur Familie der Orchidaceae.
Die ausdauernde krautige Pflanze erreicht Wuchshöhen von 25 bis 80 cm, teilweise auch darüber. Die drei bis sechs Laubblätter, die fast oder ganz am Boden anliegen, sind 17 bis 21 Zentimeter lang und 3,5 bis 7 Zentimeter breit.[1] Die weiteren 1 bis 3 Stängelblätter unfassen den Stängel scheidig.Das oberste Stängelblatt ist 11 bis 20 Zentimeter lang und erreicht den Blütenstand nicht.
[…]
Das Purpur-Knabenkraut braucht kalk- oder zumindest basenreichen humushaltigen und lockeren Lehmboden in Gegenden mit warmem Klima.
Es besiedelt dort lichte Wälder und Gebüsche, die im Sommer trocken, im Winter aber gut durchfeuchtet sein sollten.
Flora Incognita
Ich könnte mich jetzt als einzigartigen Kenner der Pflanzenwelt unserer Heimat Rheinhessen präsentieren, schließlich bin ich Kultur- und Weinbotschafter. Doch mir ist der Großteil der Pflanzenwelt unbekannt (auf lateinisch „flora incognita“). Wie es der Zufall und ein Forschungsprojekt der TU Ilmenau und des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie für halb-automatisierte Pflanzenbestimmung wollen, habe ich eine App mit genau diesem Namen auf meinem Smartphone installiert.
Zur Bestimmung wird die Analyse von Daten aus verschiedenen Quellen in einen interaktiven Ablauf integriert, der durch den Prozess der Identifizierung einer unbekannten Pflanze führt. Die Smartphone-App verzeichnet mit Stand 2022 über 5 Millionen Downloads und mehr als 300.000 täglichen Bestimmungsanfragen.
Nutzer nehmen mit ihrem Smartphone ein Foto der zu erfassenden Pflanze auf (oder wählen ein bereits vorhandenes Foto aus), welches sodann hochgeladen und durch KI-gestützte Mustererkennung (anhand eines neuronalen Netzwerks) mit einer umfangreichen Datenbank verglichen und klassifiziert wird. Hierbei kommt eine maschinell optimierte Netzwerkstruktur zum Einsatz, die 88,9 Millionen Parameter umfasst. Diese Struktur wurde 2017 durch Deep Learning auf Basis eines umfangreichen Datensatzes von etwa 780.000 Pflanzenbildern trainiert. Diese setzte sich zusammen aus geprüften Bildern mit Creative-Commons-Lizenzen, von Botanikern und Experten der heimischen Flora zur Verfügung gestellten Bildsammlungen sowie Bilder aus der App Flora Capture, dem Vorläufer von Flora Incognita. Um die Herausforderung der ungleichen Verteilung von Bildern über verschiedene Pflanzenarten hinweg zu bewältigen, werden während des Trainings taxonomische Informationen auf höheren Ebenen wie Gattungen und Familien einer Pflanzenart einbezogen.
Mehr über die App auf der Homepage: Flora Incognita.
Schutzhütte Via Vinea und Standesamt
Aus der Buschlandschaft am Hang hinausgetreten, stoßen wir kurz darauf auf die Schutzhütte Via Vinea. „Via Vinea“ ist eine Straße in den Weinbergen der Verbandsgemeinde Sprendlingen-Gensingen, die ich 2018 teilweise gewandert bin. Die Verbandsgemeinde hat hier sogar ein Standesamt, was angesichts der schönen Stelle und der Aussicht nicht verwundert.
Kräutergarten der Landfrauen
Wenig später führt die Tour an dem Kräutergarten der Landfrauen vorbei. Ein Tisch des Weines lädt zum Verweilen ein – doch leider haben hier „Umweltsäue“ (sorry, aber dafür habe ich keinerlei Verständnis) eine große McDonalds-Tüte mit Abfall darin mitten auf dem Tisch hinterlassen. Ein solches Verhalten (irgendwie mal schnell mit dem Auto zu einer schönen Stelle fahren, essen und trinken und den Müll liegen lassen) begegnet mir inzwischen auf meinen Wanderungen leider immer wieder.
Vom Kräutergarten aus gehen wir zuerst durch Weinberge und dann hinunter durch Getreidefelder zurück nach Sankt Johann.
Johanniskirche St. Johann
In Sankt Johann gehen wir zur Anfangs erwähnten Wallfahrtskirche, der Johanniskirche St. Johann. Es ist eine Offene Kirche, die samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet hat. Offene Kirchen sind eine Initiative der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Für weitere Infos: Offene Kirchen – Zentrum Verkündigung.
Für einen Pilgerstempel oder für eine Führung in der zwischen 1322 und 1350 erbauten Kirche kann bei der Evangelischen Johannisgemeinde St. Johann-Wolfsheim angerufen werden (Telefonnummern stehen auf einem Aushang).
Viele rheinhessische Kirchen haben nicht nur eine bewegte Vergangenheit, sondern sie hatten früher eine große Bedeutung nicht nur für Gläubige, sondern auch für die Wirtschaft ihres Ortes und der Umgebung.
Der Baubeginn der heutigen Kirche konnte 2006 mithilfe einer dendrochronologischen Untersuchung der Überreste einiger Eichenbalken im Mittelschiff auf die 1330er bzw. die frühen 1340er Jahre datiert werden. Beendet wurde der erste Teil der Arbeiten wohl in den späten 1350er Jahren. Aufgrund des sogenannten „Stifterbilds“ im Chor ist anzunehmen, dass die Grafen von Sponheim-Kreuznach Stifter und Kirchenpatrone des Gotteshauses waren. Wann genau die Wallfahrten zur Kirche begannen, lässt sich schwer sagen; auch ob sich eine Reliquie des Hl. Johannes des Täufers in St. Johann befand, ist unbekannt. Allerdings lässt der 1372 dokumentierte, von Gau-Bickelsheim kommende „sente Johans pade zu Wisseberg“ vermuten, dass schon im 14. Jahrhundert ins damalige Megelsheim gepilgert wurde. Am 24. Juni (dem Geburtstag Johannes des Täufers) und am 29. August (seinem Todestag) machten sich nach Schätzung von Prof. Dr. Steitz ungefähr tausend Pilger aus der näheren Umgebung auf den Weg zur heutigen Johanniskirche. Sie war so bedeutend, dass sie auch zum Ziel für Adelige wurde, wie eine Rechnung in den Regesten der Grafen von Katzenelnbogen bezeugt: Als sie am 7. März 1428 gen Ober-Ingelheim und Megelsheim pilgerten, verbrauchten die Gemahlinnen der Grafen Johann IV. von Katzenelnbogen und Philipp dem Älteren von Katzenelnbogen „8 1/2 Sack Hafer“. Die mit den Wallfahrten einhergehenden Jahrmärkte machten Megelsheim zu einem regionalen, auch wirtschaftlichen Zentrum, ihre Bedeutung für die dörfliche Entwicklung ist kaum zu überschätzen.
[…]
Mit der Einführung der Reformation durch den Condominus Ottheinrich von der Pfalz (1502-1559) im Jahr 1556, nach kurpfälzischer Kirchenordnung und vorest nach lutherischem Bekenntnis, endeten die Wallfahrten, was für die St. Johanner Kirche einen gewichtigen Bedeutungsverlust zur Folge hatte; die Pfarrei wurde der Sprendlinger Kirche als Fillialgemeinde untergeordnet. Die Jahrmärkte blieben allerdings erhalten. 1588 wurde die Gemeinde schließlich infolge des kurpfälzischen Konfessionswechsels calvinistisch. Im Dreißigjährigen Krieg wurde die Kirche 1622 von katholischen Soldaten geplündert, unter spanischer Besatzung bestand von 1625 bis 1632 wieder eine katholische Pfarrei. Dem bereits oben erwähnten Visitationsbericht von 1627 ist zu entnehmen, dass in dieser Zeit das gesamte Inventar der Kirche, darunter auch die Glocken und der Altar, zerstört oder geraubt wurden. Nach der Eroberung des Gebietes durch schwedische Truppen wurde das reformierte Bekenntnis wiederhergestellt.
(Die Evangelische Johanniskirche in Sankt Johann – Regionalgeschichte.net)
Von der Johanniskirche gehen wir noch abschließend über den alten Rathausplatz zurück zum Wagen.
Einkehr im WeinCafé
Zum Abschluss kehren wir noch im WeinCafé im Adlerhof ein und genießen Kaffee, Dinnele und … ich einen Brownie. Mein Bericht dazu: Adlerhof Weincafé in Sankt Johann