Die Sandsteinfassade der Augustinerkirche in der Mainzer Altstadt wird oft übersehen, doch dahinter verbirgt sich eine wunderbare Barockkirche mit einer eindrucksvollen Orgel. In ihr und drei weiteren Kirchen von Mainz gibt es regelmäßig Orgelkonzerte.
Vor kurzem war ich in Mainz. Den Wagen parkte ich im Parkhaus am Südbahnhof (Verzeihung: Römisches Theater), dann ging ich durch die Augustinerstraße in die Stadt. Fast wäre ich wieder einmal an der Kirche vorbeigegangen. Wenn man nicht gerade den Blick gen Himmel erhebt, übersieht man die Kirche und ihren Eingang leicht – vor allem, weil der „große“ Eingang der Eingang zum Priesterseminar ist.
Doch die offene Tür der Augustinerkirche lud mich ein, und so betrat ich die Welt des Barocks. Oder des Rokokos? Dazu gleich mehr. Wie dem auch sei, opulente Figuren, der ausladende Chor und eine gewaltige Orgel beeindrucken mich immer wieder. Für ein paar Minuten ließ ich mich zum Innehalten nieder.
Auf meinem Rückweg zum Parkhaus wollte ich zügig an der Kirche vorbeigehen, als ich durch die geöffnete Tür ein Orgelspiel vernahm. So setzte ich mich dann im hinteren Teil direkt unter der Orgel und genoss das Orgelspiel. Ich bin beileibe kein „Orgelmusikkenner“ oder gar „Orgelfan“, doch ich lauschte einfach nur der Musik, die in der Kirche eine eindrucksvolle Akustik entwickelte.
Inhaltsverzeichnis
Die Augustinerkirche
Die Augustinerkirche hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich, wie so viele Kirchen. Früher dachte ich oft: „Wow, was haben die nur schon vor 1000 Jahren für gewaltige Kirchen gebaut!“ Doch so gut wie keine der heutigen Kirchen ist wirklich so alt. Fast immer ist die heutige Kirche bereits die dritte oder gar vierte Kirche an demselben Standort. Viele der heutigen Kirchen wurden erst vor 250 oder 120 Jahren neu erbaut.
Die Kirche wurde von 1768 bis 1771 anstelle des ab 1260 errichteten gotischen Kirchenbaus in der Augustinerstraße errichtet. Erbauer waren Augustinereremiten, die auch schon den Vorgängerbau errichtet hatten und deren Fraternität von 1260 bis zum Reichsdeputationshauptschluss von 1803 bestand. Der Baumeister ist nicht bekannt.
Nach der Aufhebung des Klosters 1803 wurde das Gebäudeensemble 1805 Priesterseminar des gerade erst wiederentstandenen Bistums und die Kirche damit zur Seminarkirche. Die Augustinerkirche wurde im Zweiten Weltkrieg im Gegensatz zu weiten Teilen der Mainzer Innenstadt durch Bombardements nicht zerstört.
Viele Kirchen brannten entweder irgendeinmal ab, wurden von Franzosen zerstört oder waren einfach zu klein geworden. So erklärt sich auch, dass es sehr viele barocke und neugotische Kirchen gibt. Doch halt: Wieso gibt es auch Kirchen mit romanischem Baustil, der deutlich über 1000 Jahre alt ist? Viele Kirchen wurden irgendwann erweitert, dann hat man beispielsweise so wie in der neugotischen Katharinenkirche Oppenheim den Kirchenturm stehen gelassen, nach Osten hin kam ein neues, neugotisches Kirchenschiff. Die Augustinerkirche wurde wohl komplett neu gebaut, weswegen es eine barocke Kirche sein soll. Nun ja, auch, etwas, aber nicht nur.
Das Langhaus, das durch hohe Bodenfenster belichtetet wird, verbindet sich über verschleifende Rundungen fließend mit dem Chor. Chor und Mittelschiff repräsentieren die universale Kirche, die auf Schrift und Tradition aufbaut. Alle Linien des Raumes streben auf den Tabernakel, der unter einem kostbaren Baldachinthronaltar steht. Der Hochaltar zeigt die Kreuzesabnahme Jesu, darüber Gottvater und Heiliger Geist. Eine ikonographische Besonderheit deutet das Altarprogramm: Ein Engel zerreißt auf Befehl Gottvaters den “Schuldschein der Menschheit” (Kol 2, 14) als Zeichen für den Opfertod Christi, der in der Eucharistie gegenwärtig wird. Für alttestamentliche Vorbilder der Messe stehen Abraham, der Isaak opfern will, und der Priesterkönig Melchisedek mit den Gaben Brot und Wein. Auch der helle, lichte und heitere Kirchenraum zeichnet den Festsaal des himmlischen Hochzeitsmahls. Von Johann Baptist Enderle stammt die malerische Ausgestaltung des Rokokogewölbes mit Szenen aus dem Leben des heiligen Augustinus. Jedes Detail ist nach augustinischer Theologie durchdacht worden.
(Priesterseminar Mainz › Bischöfliches Priesterseminar, Hervorhebung von mir)
Das ist immer sehr verwirrend mit und in den Kirchen. Da ein Baustil aus dem Barock, da aus dem Rokoko, dort aus der Romanik. Dazu dann noch verwirrender beispielsweise aus der Neogotik oder Neoromanik (weil man irgendwann fand, die Baustile von vor ein paar hundert Jahren waren ja auch cool). Die Augustinerkirche ist sehr traditionell eine Art von Mischling.
In die Straßenzeile der malerischen Augustinerstraße drängt sich die Fassade einer barocken Kirche. Es handelt sich um die Augustinerkirche, die heute als Kirche des Priesterseminars genutzt wird. Die erste Kirche an dieser Stelle ist ca. 1260 im Zusammenhang mit der Niederlassung des Augustinerordens in der Stadt gebaut worden. 1287 wurde der Hochaltar der Kirche dem Hl. Augustinus geweiht.
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Die Orgel in der Kirche ist eine der bedeutendsten Spätbarockorgeln Mitteleuropas.
(Die katholische Augustinerkirche in Mainz – regionalgeschichte.net) Hervorhebung von mir)
Orgelkonzerte in Mainz
Die Orgel … damit komme ich dann auch gleich zum Mainzer Orgelzyklus. Auf der Website sind die Orgelkonzerte in den vier Mainzer Kirchen Augustinerkirche, Mainzer Dom St. Martin, St. Ignaz und St. Stephan aufgeführt, für dieses Jahr noch über 30! Sofern ich das richtig gesehen habe, sind alle Konzerte kostenlos (um eine Spende wird gebeten). Die Orgelkonzerte finden dienstags oder samstags um 12 oder um 20 Uhr statt.
Die Orgel der Augustinerkirche
Die Orgel der Augustinerkirche wurde von Orgelbauer Johann Heinrich Stumm 1773 erbaut. 1991 und 2020 wurde sie durch die Orgelbauwerkstatt Förster & Nicolaus (Lich) restauriert.
Wissenswertes
> einzige erhaltene Barockorgel in Mainz
> 2 Manuale (C-d3) & Pedal (C-d0, repetierend bis d1))
> 34 Register
> mechanische Spiel- und Registertraktur
> seitenspielige Anlage
> Windversorgung durch 4 Keilbälge
Die Stumm-Dynastie
Nein, der Orgelbauer war nicht stumm, das war sein Name. Nicht nur sein Name, sondern der einer ganzen Dynastie.
Die Familie Stumm gehört zu den berühmtesten Orgelbauerdynastien Deutschlands. Sie wurde von Johann Michael Stumm begründet. Er und seine Nachkommen bauten in sechs Generationen nach heutigem Forschungsstand ca. 400 Orgeln, von denen ungefähr die Hälfte noch größtenteils erhalten ist.
Wer hätte das gedacht: Auch die Orgel der evangelischen Kirche Selzen ist eine „Stumm-Orgel“.