Erst sah ich „Artifishal“, dann las ich „Na, wo kommt ihr her?“ Jetzt esse ich keinen Lachs mehr.
Seit vielen Jahren esse ich gelegentlich und sehr gerne Lachs. Meistens an einem Sonntagmorgen bei einem gemütlichen Frühstück zuhause auf einem Brötchen und mit Meerrettich. Weil mir der leicht bis sehr ölige Lachs schmeckt, weil das lachsfarbene (sic!) Fleisch den Eindruck von Natur und Wildheit vermittelt und weil der Lachs praktischerweise wegen der Omega-3-Fettsäuren so gesund ist. Schön rosa mit wenig Fasern soll er sein. Nicht zu günstig und nicht zu teuer bequem eingekauft. Gerne auch als Filet für Pfanne, Backofen oder Grill.
Am liebsten natürlich aus einer Aquakultur, damit die Natur und die Wildlachsbestände möglichst geschont werden.
Damit ist jetzt Schluss.
Inhaltsverzeichnis
„Artifishal“ von Patagonia
Angefangen hat es für mich mit dem 80-minütigen Film Artifishal von Patagonia. Das Unternehmen Patagonia aus Kalifornien stellt Outdoor-Bekleidung her und wurde 1973 von Yvon Chouinard gegründet. Jeder, der öfters wandert, trifft bei der Suche nach Outdoor-Bekleidung irgendwann auf die Produkte von Patagonia. Wer sich irgendwann, so wie ich, dafür interessiert, wie Outdoor-Produkte hergestellt werden, der lernt früher oder später etwas über die Hintergründe der Unternehmen.
Patagonia (Wikipedia) beispielsweise stand bei mir schnell dafür, seine Produkte möglichst umweltschonend herzustellen, Materialien wiederzuverwenden und Sachen zu reparieren statt wegzuwerfen. Patagonia ist auf internationaler Ebene aktiv – nicht nur mit seinen Produkten, sondern auch mit Kampagnen und mit Politik für die Umwelt. In 2017 beispielsweise reichte Patagonia mit Indianerstämmen und Umweltverbänden zusammen Klage gegen die Reduzierung der Fläche des Bears Ears National Monument um 85 Prozent durch Präsident Trump ein (es geht um fossiles Öl und um Uran). Vermutlich damals begann ich, die Aktivitäten von Patagonia näher zu verfolgen. So lese ich regelmäßig das Patagonia-Blog „The Cleanest Line“.
Ich weiß nicht mehr, wo genau ich schließlich vor ein paar Tagen auf den Film Artifishal aufmerksam wurde.
Artifishal ist ein Film über Menschen, Flüsse und über den Kampf für die Zukunft von Wildfischen und deren Habitate. Er zeigt auf, welche Gefahren Fischaufzuchtstationen und Fischzuchtbetriebe für den Wildlachs darstellen, bis hin zum drohenden Aussterben, und dass wir immer mehr das Vertrauen in die Natur verlieren.
(YouTube-Direktlink Artifishal, der Film ist in englisch mit deutschen Untertiteln)
Der Film lungerte ein paar Tage in meiner Warteschlange für Artikel und Videos. Am letzten Montag hatte ich dafür Zeit (hey, ich habe endlich, endlich mein Buch-Manuskript abgegeben!). 80 Minuten hielt mich der Film gefangen. Dabei ging es doch „nur um Lachse“. Doch es geht um Lachse, Natur, Vielfalt und Menschen.
Lachse werden aus zwei Gründen gezüchtet:
- Um sie freizulassen zur Erhaltung von Lachs-Populationen.
- Um sie zu essen.
Ersteres entstand ursprünglich aufgrund von neuen Staudämmen. Staatlich gefördert gibt es in den USA mittlerweile unzählige (und teure) Aufzuchtstationen, um Lachse in Flüssen freizulassen. Natürlich ist das seit längerem auch hilfreich, um Touristen anzulocken und um örtliche Anspruchsgruppen zu beruhigen. Doch ausgesetzte Lachse entwickeln sich genetisch anders und verdrängen die noch vorhandenen Wildlachse. Tatsächlich geht die Anzahl der Lachse durch solche Programme in den jeweiligen Flüssen insgesamt sogar zurück, anstatt sie ansteigen zu lassen.
Der zweite Grund führt mich zu meinem Frühstücksbrötchen und meiner Lachspfanne. Weil ich und andere Lachs so gerne essen, kann die Nachfrage durch Wildlachse auf keinen Fall befriedigt werden. International werden Lachse in riesigen Lachsfarmen gezüchtet, damit wir sie essen können. Die Farmen sind überfüllt, die Lachse bekommen künstliche Nahrung, die zu einem Großteil aus vegetarischer Masse besteht, und die Farbstoff und einen Pestizid zur Haltbarkeit enthält. Die Lachse sind oft verletzt, krank und von dem Lachslaus-Parasiten befallen.
Die Aquakulturen bestehen fast alle aus Netzen in Meeresbuchten. In solchen Netzen sind hunderttausende Zuchtlachse – die alle mit einem Schlag in Natur und Wildnis entweichen, wenn die Netze oder gar die ganze Anlage beschädigt oder zerstört werden.
Der Film hat mich irritiert und nachdenklich gemacht.
In the last 20 years, the expansion of salmon farming in open-net pens has led to the loss of half the wild salmon population in Norway. On average, 200,000 farmed fish escape from open-net pens and many of them swim up rivers in Norway and breed with wild stocks, contributing to species decline. According to conservation groups, the same method of farming is also responsible for the collapse in salmon and sea trout populations in the West Highlands and Islands of Scotland.
(In den letzten 20 Jahren hat die Ausdehnung der Lachszucht in Offen-Netz-Ställen zum Verlust der Hälfte der Wildlachspopulation in Norwegen geführt. Im Durchschnitt entkommen 200.000 Zuchtfische aus netzgeöffneten Ställen, und viele von ihnen schwimmen in Norwegen in Flüssen und brüten mit Wildbeständen, was zum Rückgang der Arten beiträgt. Nach Angaben von Naturschutzgruppen ist die gleiche Bewirtschaftungsmethode auch für den Zusammenbruch der Lachs- und Meerforellepopulationen in den West Highlands und Islands of Scotland verantwortlich.)
(The Final Frontier for Wild Atlantic Salmon – The Cleanest Line)
Für mein Sonntagsbrötchen werden kranke Lachse gezüchtet, die dann auch noch die Wildlachse verdrängen? Wieso habe ich das nicht schon vorher mitbekommen – oder habe ich es verdrängt?
Um mich abzulenken, griff ich nach einem Lesestoff. Ich erwischte Heft 72 des Fluters.
„Na, wo kommt ihr her?“ im Fluter
Alle drei Monate erscheint eine neue Ausgabe des gedruckten fluter-Magazins. Das Prinzip: Ein Thema pro Heft, das wir von allen Seiten für dich beleuchten. Hier kannst du dir die aktuelle Ausgabe als PDF runterladen oder das Heft direkt abonnieren. Kostenlos.
Der Fluter ist ein Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung. Anfang des Jahres abonnierte ich den Fluter. Und am Montag erwischte ich ausgerechnet Heft 72 zum Thema Tiere. Ausgerechnet, denn im letzten Artikel des Hefts geht Stefan Kesselhut der Frage nach, wie sein Lachs eigentlich auf seinen Teller kommt.
Für mich beginnt jeder Sonntag gleich: Ich gehe zum Kühlschrank, nehme die Packung mit dem Räucherlachs raus, dazu Meerrettich und packe alles zusammen aufs Brot. Das fettig glänzende rosafarbene Filet gehört für mich zum Sonntagsfrühstück wie Kaffee und gekochtes Ei.
(„Na, wo kommt ihr her?“ im Heft 72 des Fluters)
Nachdem Kesselhut so einiges ausgegraben hat, überlegt er am Ende des Artikels, „ein neues Ritual einzuführen und sonntags mal eine Forelle aus dem Fluss aufs Brot zu legen.“ Ich esse Lachs nicht so häufig wie Kesselhut, aber mindestens genauso gerne. Mindestens. Und so ging ich nach seinem Artikel auf nicht eine kleine Recherche, in deren Verlauf ich dennoch so einiges ausgrub.
Deswegen ist für mich jetzt Schluss mit Lachs essen.
Warum Lachs aus Aquakultur keine gute Idee ist
Aus meiner Recherche habe ich diese Gründe mitgenommen:
- Im Jahr 2018 wurden in Norwegen 400 Millionen Lachse verarbeitet. 50 Millionen Lachse starben oder entkamen jedoch, bevor sie verarbeitet werden konnten.
- Die Lachse werden in den Aquakulturen mit kleinen Pellets aus Maschinen gefüttert.
- Die Pellets enthalten nur noch ein Fünftel Fischöl und Fischmehl, zum Großteil sind darin pflanzliches Proteinkonzentrat und Pflanzenöle. Der pflanzliche Anteil ist meist aus brasilianischem Soja.
- Der Anteil der gesunden Omega-3-Fettsäuren nimmt durch das vegetarische Futter immer weiter ab.
- Die Zuchtlachse essen keine Krebse. Deswegen wird die vermeintlich gesunde Lachsfarbe durch einen Farbstoff im Futter erzeugt. Die Zuchtlachse wären ansonsten grau.
- Das Futter enthält für seine Haltbarkeit den Stoff Ethoxyquin, der in den EU als Pestizid verboten ist – nicht aber als Haltbarkeitsstoff für das Lachsfutter.
- In einer Lachsfarm können mehrere hunderttausend Lachse aufgezogen werden. Einmal entkamen in Chile knapp 700.000 Lachse aus einer Farm in die Wildnis.
- Durch die hohe Anzahl der Lachse in einem Netz beißen und verletzen sich die Lachse gegenseitig.
- Lachsfarmen verschmutzen Flüsse und Meer (Kot, Lachskadaver, nicht gefressenes Futter …).
- Futterabfälle werden durch Bakterien zersetzt. Dabei wird Sauerstoff verbraucht, der nicht mehr für andere Meeresbewohner zur Verfügung steht.
- Aquakulturen mit den großen Lachszahlen sind ideale Stätten für den Parasiten Lachslaus (Lepeophtheirus salmonis). Die Betreiber setzen Chemikalien zur Bekämpfung ein, die jedoch auch eine Gefahr für Krill und andere Krebse in der Umgebung sind.
- Krankheiten und Parasiten gelangen durch die Netze in Meer und Flüsse, wo die Wildlachse leben.
- Genetisch veränderte und sich verändernde Lachse werden in riesigen Mengen produziert und verdrängen durch Ausbrüche aus Aquakulturen oder durch Freisetzungen die Wildlachse und sogar Wildforellen.
- Die Lachsfarmen liegen weit entfernt in Ländern wie Norwegen (neun von zehn Lachse aus Aquakulturen sind in unseren Supermärkten aus Norwegen), Schottland, Irland, Kanada oder sogar Chile. Der Lachs muss über sehr weite Entfernungen bis auf meinen Teller transportiert werden.
- Über 90 Prozent der in Deutschland verzehrten Lachse sind aus Aquakulturen.
- Die Populationen der Wildlachse sind in den letzten Jahrzehnten dramatisch gesunken.
Der bestehende Bedarf an Lachs als Nahrungsmittel lässt sich durch Wildlachs nicht befriedigen. Doch wer Wildlachs essen möchte, der soll MSC-zertifizierten Lachs essen (laut WWF).
Quellen
Meine Quellen habe ich in dem Artifishal-Wakelet aufgeführt.
… und jetzt?
Jetzt esse ich keinen Lach mehr. Doch:
- Wie ist das eigentlich mit der Forelle aus dem Fluss? Wo kommen diese Forellen wirklich her? Gibt es im normalen Handel überhaupt Forellen aus dem Fluss?
- Schweine, Rinder und andere Tiere in der Massentierhaltung entkommen in Deutschland zwar kaum in die „Natur“ und verdrängen hier Wildtiere, doch sie leben auch oft … ungesund (wohl eine ziemliche Untertreibung).
- Ich esse Fleisch seit fast 60 Jahren. Ich bin kein Vegetarier und kein Veganer. Jetzt esse ich keinen Lachs mehr. Doch „reicht das“? Das ist damit doch nicht schon „okay“?
Und jetzt weiß ich auch nicht. Die Ergebnisse haben mich irritiert und nachdenklich gemacht.
Stoppt Europas schmutzige Fischfarmen!
Jedenfalls ist für mich jetzt Schluss mit Lachs essen (okay, ein MSC-zertifizierter Lachs ist noch im Gefrierschrank).
Du musst jetzt nicht auch gleich komplett auf Lachs verzichten. Aber zumindest kannst Du dabei helfen, dass es in Island, Norwegen, Schottland und Irland keine schmutzigen offenen Lachsfarmen mehr gibt. Patagonia hat dazu auf YouMove.eu eine Petition gestartet:
Als besorgte Bürger aus ganz Europa fordern wir Sie dazu auf, die durch offene Lachsfarmen verursachte Vernichtung von Wildfischen und die Zerstörung der umgebenden Ökosysteme zu stoppen. Wir verlangen den sofortigen Genehmigungsstopp für neue Netzgehegeanlagen sowie die Verpflichtung, bestehende Anlage stillzulegen.
Jetzt unterzeichnen:
Stoppt Europas schmutzige Fischfarmen!
Photos:
- „raw fish meat on brown chopping board“ by Caroline Attwood on Unsplash
- „man fishing on the river“ by Vidar Nordli-Mathisen on Unsplash