Im März startete bei den Kultur- und Weinbotschaftern Rheinhessen eine Fortbildung zur Winzerarbeit, um sich besser mit den Arbeiten eines Winzers im Wingert (Weinberg) und im Weinkeller vertraut zu machen. Der erste von vier Terminen stand im Fokus des Rebschnitts und des Biegens von Reben.
Inhaltsverzeichnis
Kultur- und Weinbotschafter
In Rheinland-Pfalz gibt es die Kultur- und Weinbotschafter in den Weinbaugebieten Mosel, Nahe, Rheinhessen und Pfalz.
Wir Kultur– und Weinbotschafter erkunden mit Ihnen, wie die Aprikose in den Riesling kommt und ob auf Korallenbänken Burgunder wächst. Dabei führen wir Sie zu atemberaubenden An- und Aussichten sowie zu den Schätzen der Weinregionen in Rheinland-Pfalz. Abseits der touristischen Pfade lassen wir Böden, Steine, Gemäuer sowie Gassen erzählen und erwecken Zeugen der Vergangenheit und Gegenwart zu neuem Leben. Wir präsentieren Landschaft, Geschichte und Wein.
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Erleben Sie mit uns Weinbergswanderungen, historische Ortskerne und Städte, Burgen und Schlösser, Klöster, Kirchen, Museen und vieles mehr. Und genießen Sie dabei unsere einzigartigen Weine.
Dazu führen die Kultur- und Weinbotschafter jedes Jahr in ihrer jeweiligen Region viele hundert Veranstaltungen durch. Ich bin seit 2020 Kultur- und Weinbotschafter Rheinhessen. Meine einjährige Ausbildung fand im Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Rheinhessen-Nahe-Hunsrück in Oppenheim und in Exkursionen quer über Rheinhessen verteilt statt, um das Gelernte als Botschafter weiterzugeben.
- Kultur & Tradition: Kelten und Römer, Geschichte Rheinhessens, Stilepochen, Dörfer in Rheinhessen, Kultur in der Landschaft, Fest- und Feierwesen, Literatur, Weinkultur.
- Geologie / Naturraum: Geologie, Landeskunde.
- Kommunikation & Vermarktung: Didaktik und Methodik der Gästeführung, Recht, Steuer, Versicherung, Angebotsentwicklung, Kalkulation, Pressearbeit, Marketing
- Wein: Wein- und Sektbereitung, Rebsorten und ihre Aromen, Weinansprache, Terroir
Meine Veranstaltungen wie beispielsweise die Weinwanderung mit der Rheinhessischen Weinkönigin am 24. April findest Du in meinem Blog unter „Wandern und Genießen mit dem Entspannenden”.
Fortbildung Winzerarbeit
Lange Zeit absolvierten vor allem Winzer oder deren Familienmitglieder die Ausbildung zum Kultur- und Weinbotschafter Rheinhessen. Die „Arbeit im Wingert” war daher im Kurs lange Zeit nicht sehr umfangreich. Inzwischen jedoch nehmen immer mehr Nicht-Winzer – so wie ich – an der Ausbildung teil. Das Kursangebot wird das in Zukunft berücksichtigen, doch einige Absolventen der letzten Jahre hatten ihr Interesse an tiefergehenden und praktischen Inhalten bekundet.
Dieses Jahr führen die Kultur- und Weinbotschafter Rheinhessen deswegen eine Fortbildung zur Winzerarbeit durch. An vier Samstagen des Jahres gehen drei Gruppen an drei verschiedenen Orten in Rheinhessen unter fachmännischer Anleitung eines Betreuers in die Praxis. Die verschiedenen Weinbergsarbeiten werden durch die Betreuer besprochen, vorgeführt und anschließend von den teilnehmenden „Kuweibos” (Kultur- und Weinbotschaftern) selbstständig durchgeführt. Die Termine orientieren sich an den Winzerarbeiten der jeweiligen Saison.
Im März standen der Rebschnitt und das Biegen von Reben im Mittelpunkt. Es folgen zwei Termine im Sommer und natürlich der Herbsttermin als Höhepunkt zum Schluss. Der Betreuer unseres Teams ist Bernhard Degünther vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum in Oppenheim und Beisitzer des Vereins Kultur- und Weinbotschafter Rheinhessen.
Unser Start in den Tag
Wir trafen uns im Katharinenhof vom Weingut Schauf Katharinenhof am Ortsrand von Guntersblum (in Richtung Alsheim). Bevor wir in die Weinberge fuhren, konnten wir uns eine Abfüllung vom Jahrgang 2021 in der Halle des Weinguts Schauf ansehen. Die Abfüllstraße nimmt die leeren Flaschen auf, füllt sie, verschließt sie und etikettiert sie. Abschließend werden jeweils 6 Flaschen in einen Karton gepackt und verschlossen.
Stilecht ging es mit Bernhards Deutz-Trecker von 1963 mit 36 PS im Anhänger zum ersten Wingert. Dort wies uns Bernhard in den klassischen Rebschnitt ein. Nachdem im Herbst die Trauben geerntet werden und die Blätter abfallen, bleiben die kahlen Rebstocktriebe übrig. Würde man die Triebe einfach wieder und weiter wachsen lassen, würden sie wild Wuchern und ebenfalls neue Triebe bilden. Das würde dazu führen, dass die Kraft aus den Wurzeln sich auf zu viele Triebe verteilt und diese weniger ergiebige Trauben bilden. Außerdem ist dann die Pflege des Weinbergs (beispielsweise Schnitt und Schädlingsbekämpfung) schwierig.
In den Weinbaugebieten Deutschlands hat sich die Spaliererziehung durchgesetzt. Es gibt viele verschiedene Erziehungssysteme (siehe Reberziehung auf Wikipedia). Die Spaliererziehung wurde in Rheinhessen in den 1950er Jahren erfunden. Zwischen Pfosten werden Drähte gezogen, zwischen den Pfosten werden die Rebstöcke gesetzt. Früher waren die Pfosten aus Holz, heute nimmt man Metall-Pfosten. Die Drähte werden in unterschiedlichen Höhen gezogen, um der Bog-Rebe Halt zu geben. Die Bogrebe wird vom Rebstock zur Seite über einen Draht gebogen und am Draht darunter festgebunden. Aus der Bogrebe wachsen im Sommer nach oben die Triebe, aus denen die Blätter und die Trauben wachsen. Sie erhalten ihren Halt durch weiter oben gespannte Drähte.
Der Rebschnitt
Beim Rebschnitt werden alle Triebe aus dem Vorjahr bis auf die Bogrebe abgeschnitten. Außerdem wählt man einen weiteren Trieb als „Zapfen” aus, der nach nur etwa 3 – 4 cm (mit entsprechenden „Augen”) abgeschnitten wird. Aus ihm kann im nächsten Jahr dann eine neue Bogrebe gewählt werden.
Nach den Erklärungen wurde es praktisch: Jeder von uns musste Rebstöcke unter dem kritischen Blick von Bernhard und den neugierigen Blicken der anderen schneiden. Es wurde oft diskutiert, ob dieser oder jener Trieb die bessere Bogrebe oder der bessere Zapfen würde. Es gibt da keine hundertprozentige Lösung. Manchmal beispielsweise sind die Triebe durch den Schnitt im Vorjahr relativ weit oben. Dann empfiehlt es sich, eher Bogrebe und Zapfrebe so zu wählen, dass man später gut nach unten biegen kann.
Mit Rebschere in der einen Hand wird geschnitten, mit der anderen werden Triebe beiseite gehalten. Wir hatten alle eine klassische Handschere (okay, eine Kollegin hatte eine Gartenschere mit Elektromotor und einem Akku im Griff). In einer Übergangszeit gab es pneumatische Scheren zur Kraftunterstützung. Inzwischen gibt es elektrische Scheren, deren Akku locker einen zwölfstündigen Arbeitstag des Winzers halten. Außerdem gibt es Rebscheren für Rechts- und für Linkshänder.
Die Lebenszeit eines Weinbergs
Manchmal schafft es eine Rebe nicht und geht ein (Schädlinge, Wetter …). Dann können einzelne Rebstöcke nachgesetzt werden. Ein Rebstock braucht allerdings zwei bis drei Jahre, bevor die Trauben für die Lese genutzt werden können. Das bedeutet auch, dass ein komplett neu gesetzter Weinberg erst danach ertragreich ist. Und irgendwann endet die „Lebenszeit” eines Weinbergs. Die Pfosten und Drähte sowie die Rebstöcke werden entfernt, die Erde wird umgegraben, und es werden neue Rebstöcke gesetzt (das geschieht mit einer Maschine). Ging man bis vor ein paar Jahren von einer allgemeinen Lebenszeit von etwa 25 Jahren aus, so hält ein Wingert heutzutage etwa 35 Jahre. Das hängt von sehr vielen Faktoren wie Mikroklima, Erde und Material ab. Auch weil inzwischen das Material von Pfosten und Drähten so robust ist, halten Weinberge länger.
Wenn der Weinberg neu gesetzt wird, dann ist auch die Entscheidung über die Rebsorte fällig. Dabei geht es nicht nur um „weiß” oder „rot”, sondern darum, ob es beispielsweise Riesling, Weißburgunder oder Sauvignon Blanc wird. Hierbei gilt es sehr viele Faktoren zu berücksichtigen, beispielsweise:
- Welcher Boden und welche Rebsorte passen zusammen? Der Riesling steht beispielsweise im Ruf, den „Geschmack” des Bodens gut aufzunehmen (beispielsweise Mineralik, Frucht).
- Was will der Markt, der Kunde? Lieber fruchtig, lieber trocken, lieber … welche Rebsorte? Die Rebsorte Müller-Thurgau war beispielsweise recht beliebt. Irgendwann ließ der Hype nach, und manche Winzer vermarkten Müller-Thurgau jetzt mit dem Namen „Rivaner”. Doch letztendlich geht es um den Geschmack des Kunden.
- Wo habe ich als Winzer den „Markt”? Verkaufe ich an Endkunden im Hof? An Weinfachhandel? An Discounter? Als Flaschenwein oder als Fasswein?
- Welches Mikro-Klima herrscht an dieser Stelle? Eher feucht, eher trocken, sehr windig? Habe ich an dieser Stelle oft und viel Pilzbefall? Soll ich vielleicht eine „PIWi” (pilzwinderstandsfähige Rebsorte) pflanzen?
Die Entscheidung für eine Rebsorte eines neuen Weinbergs ist eine betriebliche Entscheidung, die aufgrund der Lebenszeit eines Weinberges über wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg der nächsten 35 Jahre bestimmt. Das an sich ist aufgrund von Markt- und Geschmacksänderungen schon schwierig genug. Doch inzwischen ist das Setzen eines Weinberges auch eine Einschätzung darüber, wie der Klimawandel in den nächsten Jahrzehnten den eigenen Betrieb beeinflusst.
Das Ziehen und Biegen
In einem weiteren Arbeitsschritt gilt es zunächst, die abgeschnittenen Triebe aus den Drähten zu ziehen. Dabei werden die Triebe jeweils in jedem zweiten Gang zwischen den Rebstockreihen gesammelt. Später fährt ein Trecker durch und häckselt die alten Triebe. Außerdem wird die Bogrebe über den zweiten Draht (von unten) gehoben und hinunter zum ersten Draht gebogen und an ihm festgebunden. Wir haben das komplett mit der Hand gemacht, normalerweise nutzt der Winzer oder Helfer eine Drahtzange („Rebenbinder)”, die das Umbinden und Abschneiden des Bindedrahts unterstützt.
Vesper am Leckbartsheisje
So eine Arbeit im Wingert macht hungrig und durstig. Bernhard fuhr uns zum Leckbartsheisje („Heisje” = Häuschen, „Leckbart“ soll für einen Feinschmecker stehen). Vom Leckbartsheisje hatten wir einen sehr guten Ausblick auf Guntersblum (so wie ich bei meinem „Wandern im Hohlwege-Paradies von Alsheim zum Sonnenaufgang” aka SunriseHike🌄🚶🥾). Wir packten unser Essen und unser Wasser aus – und Bernhard holte Wein vom Weingut Schauf dazu.
Mir besonders angetan hat es der „Muscabona”. Ich kannte die Rebsorte bislang nicht, war skeptisch und witzelte sogar „Ich probiere mal den Mascarpone”. Doch meine zu verzeihende Unkenntnis hat sich in Begeisterung gewandelt.
Die weiße Rebsorte (Zucht Nr Würzburg B 48-10-2) ist eine Neuzüchtung zwischen Siegerrebe x Müller-Thurgau, was durch im Jahre 2012 veröffentlichte DNA-Analysen bestätigt wurde. Die Kreuzung erfolgte im Jahre 1948 durch den Züchter Dr. Hans Breider (1908-2000) an der Bayerischen Landesanstalt für Wein-, Obst- und Gartenbau in Würzburg (Deutschland). Mit denselben Eltern sind übrigens auch die drei Neuzüchtungen Ortega, Tamara und Thekla entstanden. Die Sorte hat sich aber nicht durchgesetzt; im Jahre 2016 wurden keine Bestände ausgewiesen (Statistik Kym Anderson).
Der Name ist klingend und sprechend: Muscabona. Ein guter Muskateller? Wenn man seine Nase in Richtung Glas bewegt, entströmt diesem zumindest ein solcher Duft. Aber da ist noch mehr und dass es sich beim Muscabona mitnichten um eine Muskateller-Kreuzung handelt, zeigt sich auf der Zunge: Viel Aprikose, dabei eine frische Säure und hinten am Gaumen bleiben ein klein wenig Bitterstoffe, die einen guten Ausgleich zur vordergründigen Fruchtbombe bringen
Lehrgang in den Weinbergen
Zum Abschluss unternahmen wir noch einen Lehrgang durch die nahen Weinberge. Dort zeigte uns Bernhard Weinberge verschiedenen Alters wie beispielsweise frisch gesetzte Rebflächen. Neben dem klassischen Rebschnitt im Spalier zeigte er uns auch Weinberge mit Minimalschnitt. Hierbei werden die Triebe nicht bis auf Bogrebe und Zapfen zurückgeschnitten. Mehr oder weniger lässt der Winzer die Triebe austreiben, es wird lediglich im Laufe des Sommers von außen der „Laub- und Traubenwald” zurückgeschnitten und ausgedünnt.
Am Minimalschnitt scheiden sich die Geister. Wie schon der Name sagt, werden Reben dabei wenig bis überhaupt nicht beschnitten. Ein Argument für die Minimalerziehung ist die Arbeitszeitersparnis. Die bisher übliche, arbeitsintensive Reberziehung kommt damit auf den Prüfstand. Ihre Anhänger argumentieren, dass nur die herkömmliche Reberziehung Top-Qualitäten hervorbringt.
(Minimalschnitt im Spalier – eine neue Form der Reberziehung – Industrieverband Agrar)