Der Entspannende - Entspannen bei Wandern, Genuss und Kultur aus Rheinhessen, dem magischen Land der tausend Hügel.

„Deportiert“ von Andrea Löw – von Hoffnung zur Verzweiflung

„Deportiert“ von Andrea Löw ist eine ergreifende Dokumentation über die Deportation der Juden, ihre Erniedrigungen, ihre Qualen, ihre Hoffnungen, ihre Verzweiflung, ihre Folterungen, ihre Ermordungen. Geschrieben haben die Dokumentation damals bereits die Juden selbst, in Briefen an ihre Angehörigen, zunächst voller Hoffnung und zuletzt nur noch voller Verzweiflung. Löw hat Briefe und erschreckende Fakten zu den Geschichten der Deportierten in Archiven recherchiert, sie hat mit Verwandten gesprochen, und sie hat dem Leid zahlreiche Geschichten, Gesichter und Namen gegeben.

„Deportation der Juden“ – damit sollte jedem klar sein, dass es um Nazi-Deutschland geht. Bereits lange vor den Deportationen im Nazi-Deutschland, in unserem Deutschland, begannen immer wieder Leidenswege von Juden in Deutschland. Antisemitismus gehörte zu Deutschland, Juden wurde benachteiligt und später ausgeschlossen. Hitler und seine Konsorten hatten schon lange vor der Machtergreifung klar gemacht, dass sie die Juden vernichten wollten. Mit den Nürnberger Gesetzen gaben sie dem Unrecht eine bürokratische Scheinheiligkeit. Die Nazis haben vor und nach der Machtergreifung Unrecht und Gewalt ausgeübt, mit den Deportationen im deutschen Reichsgebiet überschritten sie eine weitere Schwelle.

Ich und der Holocaust

Mich hat die Shoah (der Holocaust) schon früh berührt, ebenso wie die Diktatur und die Gewalt der Nazis insgesamt. Die Miniserie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“ hat mich 1979 gefesselt und entsetzt. Im Jahr 1980 trat ich in die Bundeswehr als Offizieranwärter der Luftwaffe ein, um für unsere Gesellschaft und das Grundgesetz mit ihrer Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung einzutreten. Neben vielen militärischen und persönlichen Höhepunkten hat mich in meiner Bundeswehrzeit vor allem eines geprägt: Der Besuch mit meiner Einheit der Offizierschule der Luftwaffe aus Fürstenfeldbruck im Konzentrationslager Dachau. Als Zwanzigjähriger mit der fürchterlichen Geschichte an einem Tatort konfrontiert zu werden, hat mich getroffen und mich in meiner zutiefst demokratischen Überzeugung verwurzelt. Damals dachte ich, unsere Gesellschaft in ihrer Gesamtheit hätte dieses dunkle Kapitel überwunden.

Gleich zu Beginn ihrer Herrschaft haben die Nazis das wahrgemacht, worüber sie zuvor offen schwadronierten. Im KZ Dachau und im rheinhessischen KZ Osthofen wurden sogleich Menschen aufgrund ihrer „Rasse“, ihrer Ansichten und ihrer Tätigkeiten eingesperrt und sehr oft später umgebracht. Nein, es waren nicht nur die Juden sowie Sinti und Roma (was beides unsagbar fürchterlich war). Es waren Pfarrer, SPDler, CDUler, Journalisten, Gewerkschaftler. Es waren Menschen wie Du und ich, die den Nazis nicht gepasst hatten. Manchmal wurden persönliche Rechnungen beglichen unter dem Denkmantel der völkischen Bereinigung. Doch die Juden wurden Opfer einer systematisch-chaotischen Mordmaschinerie in einem bestialischen Umfang, den ich mir immer noch nicht wirklich vorstellen kann.

Seit damals habe ich mich immer wieder mit den Nazis und dem Faschismus beschäftigt, aber auch mit den „normalen deutschen Bürgern“, die unvermittelt in einem staatlichen Rahmen geduldet, gefördert oder aufgefordert folterten, töteten und Verbrechen begingen. Wir haben uns damals an der Offizierschule durchaus kritisch mit der Geschichte der Wehrmacht auseinandergesetzt. Später habe ich beispielsweise Daniel Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ gelesen und die Diskussion darüber verfolgt sowie die Wehrmachtsausstellung besucht. Deutsche haben nicht nur weggesehen, ignoriert und geduldet, sondern sie haben gefoltert, getötet und fürchterliche Verbrechen begangen. Deutsche haben ihre Ankündigungen wahrgemacht. Viele Deutsche haben sich von Unbeteiligten zu Mitläufern zu Tätern gewandelt.

„Deportiert“ von Andrea Löw

»Immer mit einem Fuß im Grab« – Erfahrungen deutscher Juden | Eine kollektive Erzählung auf Basis Hunderter Zeugnisse

"Deportiert" - das Buch von Andrea Löw in der Hand gehalten vor einer Tastatur und einem Display
„Deportiert“ – das Buch von Andrea Löw in der Hand gehalten vor einer Tastatur und einem Display

Damals zeigte mir Daniel Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker“, wie „normale Menschen“ unmenschlich werden und sein können und der Banalität des Bösen verfangen können (s.a. „„Hitlers willige Vollstrecker“ und die Goldhagen-Debatte in Deutschland„). Als ich auf Mastodon von der Historikerin Andrea Löw mitbekam, dass ihr Buch „Deportiert“ veröffentlicht würde, habe ich es sogleich bestellt. 2022 (damals noch auf Twitter) hatte ich ihre Recherchen in Washington mitbekommen.

Löws Buch offenbart die Erfahrungen und Empfindungen der Opfer, der Juden, wie sie die Brutalität, die Gnadenlosigkeit und die Grausamkeit der Deutschen erfuhren. Zu Beginn noch mit Hoffnungen, es werde schon nicht so schlimm, später mit beginnendem Zweifel und dem Versuch, ihre Angehörigen mit der beginnenden Verzweiflung zu verschonen. Dann war es fast nur noch Apathie und Verzweiflung. Nur sehr wenigen gelang es, während der Naziherrschaft zu entkommen. Und sehr wenigen gelang es, zu überleben. Von einigen gibt es Berichte über Deportationen, ihre Zeit in den Sammellagern, den Ghettos, den Konzentrationslagern, den Todesmärschen.

Eines Tages saß ich in einem Café in Mainz, ich hatte ein reichliches Frühstück hinter mir. Ich fühlte mich wunderbar – zunächst. Ich begann, weiter in „Deportiert“ zu lesen. Doch es gelang mir nicht, noch mehr von den Erlebnissen der Deportierten in den Waggons nach Osten zu erfahren. Während ich hier und heute in Deutschland geradezu schlemmte und es mir über die Jahre so gut ging und geht, musste ich an die Qualen der vor rund 80 Jahren aus Deutschland Deportierten denken, die froh über winzige Mengen gefrorenen Wassers von den eiskalten Waggonfenstern waren, während ihr Kot auf dem Boden gefroren war.

Löw hat ein Bild der fürchterlichen Verhältnisse gezeichnet, wobei manche Namen immer wieder erscheinen, so wie „Edith Blau“, die es schaffte zu überleben.

Da das Reinigungskommando kaum hinterherkam, fanden auch die Transporte im Januar 1942, wenn sie die Häuser bezogen, noch gefrorenes Essen der Ermordeten vor.
Egal, wie groß der Schock war, sie mussten damit umgehen, wie Gerda Gottschalk, als sie die gefrorene Mahlzeit auf dem Tisch in der verlassenen Wohnung sah: »Sie war noch von denjenigen hergestellt worden, die jetzt reglos in Massengräbern des Hochwaldes lagen. Der Hunger zwang uns, die Speisen aufzutauen und zu essen, die Kälte zwang uns, die Kleider, die wir in den Schränken vorfanden, an uns zu nehmen, um die erstarrten Glieder zu wärmen.« Da die ersten Transporte zwei Wochen lang keinerlei Lebensmittel erhielten, bildeten die zurückgelassenen Mahlzeiten und Vorräte der Ermordeten die Ernährung der Neuankömmlinge, sie konnten es sich gar nicht erlauben, zu lange über den Hintergrund dieser Hinterlassenschaft nachzudenken. Auch suchten sie trotz Verbots in den noch leerstehenden Häusern nach Lebensmitteln. Und doch: Wenn sie anfingen zu reflektieren, waren sie fassungslos. Edith Blau schreibt darüber im Mai 1945: »Hier hatte ein Blutbad stattgefunden, und wir sollten hier leben, bis es an unsere Reihe kam! Wo man hinsah, Kinderwagen, kleine Schuhchen, die herrlichsten Kinderbilder, schöne Frauen, glückliche Familienfeiern, Hochzeitsbilder – fort, wie weggeblasen.«

Oft versuchten die Menschen irgendwann angesichts der eigenen Vernichtung, mit einem geregelten Alltag, mit Freizeitaktivitäten oder mit (Galgen-)Humor irgendwie ihre Fassung und eine Haltung zu bewahren.

Das Buch zu lesen, fiel mir schwer, längere Passagen brach ich dann doch wieder ab. Das lag an meinen Empfindungen beim Lesen: Verzweiflung, Mitgefühl für die Opfer sowie Wut auf die Täter und die Mitläufer-Täter.

Es gibt Situationen, Dinge und Gefühle, die kann man nicht wirklich nachvollziehen. Doch es zu versuchen, empfinde ich als meine Pflicht.

Lese- und Kaufempfehlung

Von mir gibt es eine klare Lese- und Kaufempfehlung für das Buch. Wer sich mit diesem dunklen Kapitel der deutschen Geschichte beschäftigt hat oder sich damit beschäftigen will, sollte das Buch auf jeden Fall lesen.

„Deportiert“ erschien im März 2024 im Verlag S. Fischer (368 Seiten. ISBN 978-3-10-397542-0), Preis derzeit 26 Euro.

Tipp: Beim Kauf im Autorenwelt-Shop erhalten Autorenvereinigungen oder teilnehmende Autoren einen zusätzlichen Anteil des Kaufpreises:

„Deportiert“ im Autorenwelt-Shop

Andrea Löw am 27. Juni in Frankfurt

Andrea Löw ist am 27. Juni um 19 Uhr in der Villa Metzler im Gespräch über ihr Buch „Deportiert“.  Ich freue mich bereits auf den Abend.

Die erste große, vielstimmige Erzählung über die Erfahrungen der Jüdinnen und Juden, die während des Nationalsozialismus aus dem Deutschen Reich ins besetzte Osteuropa deportiert wurden. Auf Basis Hunderter Briefe, Postkarten, Tagebücher, Video-Aufzeichnungen und vieler weiterer Quellen verwebt die Historikerin Andrea Löw die individuellen Geschichten zu einem erschütternden Zeugnis. Ein Zeugnis, das umso wichtiger ist, als die letzten überlebenden Opfer der Shoah bald nicht mehr selbst erzählen können.

Moderation: Pitt von Bebenburg. Die Plätze sind begrenzt, um Anmeldung per E-Mail an kulturportal@stadt-frankfurt.de wird gebeten. Eintritt: 8,00 € (regulär), 4,00 € (ermäßigt)

Veranstaltungsseite: Frankfurter Premieren: Andrea Löw im Gespräch (S. Fischer Verlage)

Stolpersteine: Deportiert aus Selzen

Deportiert - Stolpersteine Amelie Mann und Ferdinand in Selzen
Deportiert – Stolpersteine Amelie Mann und Ferdinand in Selzen

Wer wissen möchte, was sich hinter den Namen und Orten auf den vielen Stolpersteinen in deutschen Städten verbirgt, findet die Geschichten der Menschen in diesem Buch. Aus Berlin und Hamburg, Leipzig und München, Dresden, Stuttgart, Köln, Hannover, Wien, Breslau oder Stettin und vielen anderen Orten.

(Aus dem Klappentext des Buchs)

Inzwischen wurden über 100.000 Stolpersteine (Website des Projekts „Stolpersteine“) verlegt.

Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig, das im Jahr 1992 begann. Mit im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln, sogenannten Stolpersteinen, soll an das Schicksal der Menschen erinnert werden, die in der Zeit des Nationalsozialismus (NS-Zeit) verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Die quadratischen Tafeln aus Messing mit abgerundeten Ecken und Kanten sind mit manuell mittels Hammer und Schlagbuchstaben eingefügten Lettern beschriftet. Sie werden von einem angegossenen Betonwürfel mit einer Kantenlänge von 96 × 96 und einer Höhe von 100 Millimetern getragen. Sie werden meist vor den letzten frei gewählten Wohnhäusern der NS-Opfer niveaugleich in das Pflaster bzw. den Belag des jeweiligen Gehwegs eingelassen

(Seite „Stolpersteine“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 12. Juni 2024, 07:47 UTC.)

Just, nachdem ich an der Selz auf einer Bank einen weiteren Abschnitt von Löws Buch gelesen hatte, stolperte ich in Selzen über die Stolpersteine, die an die 1942 in den Osten deportierten Amalie und Ferdinand Mann erinnern.

Spurensuche in Selzen: Amalie und Ferdinand Mann

Stefan Selzer ist „Der Selzer“ und berichtet in seinem Journal über Ereignisse, Geschichten und Hintergründe Selzens. Nachdem ich über die Stolpersteine gestolpert war, durchsuchte ich daher sein Journal und fand Notizen aus dunkler Zeit – Selzen von 1933 bis 1938).

Deutsche Juden werden verpflichtet, zusätzlich die Vornamen Israel bzw. Sara zu führen. Dies betrifft auch die beiden letzten in Selzen verbliebenen jüdischen Mitbewohner. Sie werden darüber hinaus gezwungen, im Rechts- und Geschäftsverkehr mindestens einen Vornamen anzugeben, der sie als jüdisch kennzeichnet. Wer dies fahrlässig versäumt, wird mit Gefängnishaft bis zu einem Monat bestraft; bei Vorsatz bis sechs Monate.

Unter dem Absatz ist ein Foto der Kennkarte des Selzers Ferdinand Mann mit dem aufgezwungenen Vornamen Israel und Kennzeichnung Jude.

In der Chronik des Untergangs – Selzen von 1939 bis 1945 berichtet Stefan über Amalie Mann und ihren Stiefbruder Ferdinand.

Der verordnete Judenstern führt die 1933 begonnene soziale Ausgrenzung, Diskriminierung und Demütigung der jüdischen Minderheit fort. Auch die jüdischen Mitbürger in Selzen müssen ihn tragen. Der gelbe Stern ist eine öffentlich sichtbare Maßnahme zur Durchführung des Holocausts.

Amalie Mann (* 01.04.1866 in Selzen) wird am 27. September 1942 über Darmstadt in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie am 30. Oktober 1942 ermordet wird.

Ihr Stiefbruder Ferdinand Mann (* 02.06.1884 in Selzen) wird am 30. September 1942 über Darmstadt vermutlich in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. Sein genaues Schicksal ist unbekannt.

Ein Selzer kommt in den Besitz zweier Grundstücke. 1950 muss er auf Grundlage der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts diese Grundstücke zurückgeben. Geklagt hatte u. a. eine nach der USA emigrierte Jüdin.

Von Stefan erfuhr ich, dass Ende Juli Nachkommen von Verwandten der Manns die Gemeinde Selzen besuchen werden. Leider bin ich an diesen Tagen nicht hier.

Online-Suche nach Selzer Opfer

Über die Suche in der Database of Holocaust Survivor and Victim Names vom United States Holocaust Memorial Museum (USHMM) stieß ich auf das Buch „Die jüdischen Bewohner der Selztalgemeinden und ihrer Nachbardörfer : ihre Schicksale“ von Walter Schwamb aus unserer Nachbargemeinde Köngernheim.

Hahnheim, Selzen, Friesenheim, Köngernheim, Undenheim mit Schornsheim, Udenheim, Dalheim und Mommenheim, ergänzt mit ihren christlichen Nachkommen im Familienbuch und den Nachkommen der Auswanderer Trum in Amerika.“

Das Buch ist, so Stefan Bremler, nicht mehr im Handel erhältlich, jedoch wird er es mir ausleihen.

Holocaust Survivors and Victims Database — Search for Names (ushmm.org)

Bei der Suche im USHMM stieß ich noch auf diese beiden Euthanasieopfer (Aktion T4):

Hitlers willige Vollstrecker

Zwei Bücher: "Deportiert" von Andrea Löw und "Hitlers willige Vollstrecker" von Daniel Goldhagen
Zwei Bücher: „Deportiert“ von Andrea Löw und „Hitlers willige Vollstrecker“ von Daniel Goldhagen

Ich habe begonnen, „Hitlers willige Vollstrecker“ von Daniel Goldhagen erneut zu lesen. Es wird mich ähnlich mitnehmen wie Löws „Deportiert“. Doch gerade in diesen Zeiten, da Rechtsextreme wieder Machtfantasien Wirklichkeit werden lassen wollen, will ich mich genau daran erinnern: Dass es nicht nur SS-Leute, sondern auch „ganz normale“ Deutsche in Wehrmacht und in Polizeieinheiten waren, die grausam und gewollt ihren Aufgaben nachkamen. Ganz normale Deutsche wie beispielsweise heutzutage Geschichtslehrer.

Hitler’s Willing Executioners: Ordinary Germans and the Holocaust is a 1996 book by American writer Daniel Goldhagen, in which he argues collective guilt, that the vast majority of ordinary Germans were „willing executioners“ in the Holocaust because of a unique and virulent „eliminationist antisemitism“ in German political culture which had developed in the preceding centuries. Goldhagen argues that eliminationist antisemitism was the cornerstone of German national identity, was unique to Germany, and because of it ordinary German conscripts killed Jews willingly. Goldhagen asserts that this mentality grew out of medieval attitudes rooted in religion and was later secularized.

The book challenges several common ideas about the Holocaust that Goldhagen believes to be myths. These „myths“ include the idea that most Germans did not know about the Holocaust; that only the SS, and not average members of the Wehrmacht, participated in murdering Jews; and that genocidal antisemitism was a uniquely Nazi ideology without historical antecedents.

Übersetzt mit DeepL.com (kostenlose Version):

Hitler’s Willing Executioners: Gewöhnliche Deutsche und der Holocaust ist ein Buch des amerikanischen Schriftstellers Daniel Goldhagen aus dem Jahr 1996, in dem er die These vertritt, dass die überwiegende Mehrheit der gewöhnlichen Deutschen im Holocaust „willige Henker“ waren, weil sich in der deutschen politischen Kultur in den vorangegangenen Jahrhunderten ein einzigartiger und virulenter „eliminatorischer Antisemitismus“ entwickelt hatte. Goldhagen argumentiert, dass der eliminatorische Antisemitismus der Eckpfeiler der deutschen nationalen Identität war, einzigartig in Deutschland, und dass deshalb die einfachen deutschen Wehrpflichtigen Juden bereitwillig töteten. Goldhagen behauptet, dass diese Mentalität aus mittelalterlichen, in der Religion verwurzelten Haltungen erwuchs und später säkularisiert wurde.

Das Buch stellt mehrere gängige Vorstellungen über den Holocaust in Frage, die Goldhagen für Mythen hält. Zu diesen „Mythen“ gehört die Vorstellung, dass die meisten Deutschen nichts vom Holocaust wussten, dass nur die SS und nicht die normalen Wehrmachtsangehörigen an der Ermordung der Juden beteiligt waren und dass der völkermörderische Antisemitismus eine einzigartige nationalsozialistische Ideologie ohne historische Vorläufer war.

(Wikipedia contributors. (2024, June 12). Hitler’s Willing Executioners. In Wikipedia, The Free Encyclopedia. Retrieved 12:28, June 14, 2024)

Die Banalität des Bösen

Mich hat in sehr vielen Berichten aus der Nazizeit verblüfft, wie beiläufig, selbstverständlich, teilnahmslos, unbeteiligt die Täter ihre Verbrechen begangen. Als ob das alles für sie natürlich wäre. Als sei es wie der Blick auf die Uhr, bar jeder Regung, weil das irgendwie so üblich sei, zum Leben dazu gehöre und überhaupt nichts Ungewöhnliches sei. Als ob sich das Böse noch nicht einmal hinter einer Banalität des Alltags verstecke, sondern als ob das Böse der triviale Alltag selbst sei.

Im heutigen Umgangsdeutsch wird der Begriff als Adjektiv überwiegend bildungssprachlich abwertend gebraucht für einen „Ideengehalt, der gedanklich recht unbedeutend, durchschnittlich“ auch im Sinne von trivial ist. Ferner hat er die Bedeutung von „keine Besonderheit, nichts Auffälliges aufweisend; alltäglich, gewöhnlich“.

(Seite „Banal“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 27. August 2023, 16:55 UTC.)

Der Ausspruch von der „Banalität des Bösen“ stammt von Hannah Arendt, die 1961 von April bis Juni 1961 als Reporterin der Zeitschrift The New Yorker am Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem teilnahm.

Daraus gingen zunächst Reportagen hervor und schließlich eines ihrer bekanntesten und damals bis heute[69] sehr umstrittenen Bücher, Eichmann in Jerusalem mit dem Untertitel Ein Bericht von der Banalität des Bösen. Es wurde 1963 zunächst in den USA und kurz darauf in der Bundesrepublik veröffentlicht. Der israelische Geheimdienst hatte Adolf Eichmann 1960 in Argentinien gefasst und nach Jerusalem entführt. Ihre vieldiskutierte Wendung im Hinblick auf Eichmann – „Banalität des Bösen“ – wurde zu einem geflügelten Wort.

„In diesen letzten Minuten war es, als zöge Eichmann selbst das Fazit der langen Lektion in Sachen menschlicher Verruchtheit, der wir beigewohnt hatten – das Fazit von der furchtbaren »Banalität des Bösen«, vor der das Wort versagt und an der das Denken scheitert.“

Um das Werk gab es heftige Kontroversen. Insbesondere der Ausdruck „Banalität“ in Bezug auf einen Massenmörder wurde von verschiedenen Seiten, darunter auch von Hans Jonas, angegriffen.

In der Einleitung zur deutschen Ausgabe 1964 erläutert Arendt ihre Wortwahl: „In dem Bericht kommt die mögliche Banalität des Bösen nur auf der Ebene des Tatsächlichen zur Sprache, als ein Phänomen, das zu übersehen unmöglich war. Eichmann war nicht […] Macbeth […]. Außer einer ganz ungewöhnlichen Beflissenheit, alles zu tun, was seinem Fortkommen dienlich sein konnte, hatte er überhaupt keine Motive.“ Niemals hätte er seinen Vorgesetzten umgebracht. Er sei nicht dumm gewesen, sondern „schier gedankenlos“. Dies habe ihn prädestiniert, zu einem der größten Verbrecher seiner Zeit zu werden. Dies sei „banal“, vielleicht sogar „komisch“. Man könne ihm beim besten Willen keine teuflisch-dämonische Tiefe abgewinnen. Trotzdem sei er nicht alltäglich. „Dass eine solche Realitätsferne und Gedankenlosigkeit in einem mehr Unheil anrichten können als alle die dem Menschen innewohnenden bösen Triebe zusammengenommen, das war in der Tat die Lektion, die man in Jerusalem lernen konnte. Aber es war eine Lektion und weder eine Erklärung des Phänomens noch eine Theorie darüber.“

(Seite „Hannah Arendt“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 14. Juni 2024, 08:28 UTC.)

Hintergrundartikel:

Andrea Löw

Newsletter

Neues aus Rheinhessen über Wandern, Genuss und Kultur

Rabattaktion im Januar: 20 Prozent für Newsletterabonnenten bei offenen Wanderführungen!

Du erhältst eine E-Mail mit einem Bestätigungslink. Deine Daten sind ausschließlich für den Newsletter (Datenschutzerklärung.)

About the author

Der Entspannende (* 1961 in Ingelheim am Rhein als Frank Hamm) ist Kultur- und Weinbotschafter Rheinhessen, Autor und Wanderblogger (Wandern, Genuss, Kultur, Joggen & SunriseRun). Ich lebe in der Ortsgemeinde Selzen in Rheinhessen, etwa 15 km südlich von Mainz. In den Sozialen Medien findest Du mich im Fediverse als DerEntspannende@Digitalcourage.social und auf Facebook. Gefällt Dir, was ich als Der Entspannende tue? Dann kannst Du mich auf Ko-fi mit einer kleinen Geste unterstützen und mir einen Kaffee kaufen:

Related Posts

Oppenheimer Kellerlabyrinth

Oppenheimer Kellerlabyrinth, Kirchenführung und Gutschänke

Eine einstündige Führung erkundet das unterirdische Oppenheimer Kellerlabyrinth, seine Geheimnisse und die Geschichte Oppenheims. Die Sehenswürdigkeit ist ideal für schlechtes, kaltes oder heißes Wetter, denn ganzjährig hält sich eine Temperatur...
Modell der Seekuh "Floni", nach einem Originalskellet gestaltet.(gefunden in Flonheim-Uffhofen)

Ich reiste in die Vergangenheit an der Hiwweltour Aulheimer Tal

An der Hiwweltour Aulheimer Tal gibt es zwei neue Erlebniswelten: Der Schausteinbruch in der Nähe des Naturfreundehauses und die neu gestaltete Infothek Flonheim mit Dorfmuseum. Vor Ort traf ich mich...
Festungswerk Four-à-Chaux der Maginot-Linie bei Lembach

Festungswerk Four-à-Chaux der Maginot-Linie bei Lembach

Das Festungswerk Four-à-Chaux der Maginot-Linie bei Lembach bietet bei einer Führung ein eindrucksvolles Erlebnis. Tief unter der Erde wurden bis 1940 Geschützanlagen gebaut, um angreifende deutsche Truppen abzuwehren. Wir nutzten...
3 Responses

Leave a Reply

Der Entspannende

Frank Hamm

Frank Hamm: Kultur- und Weinbotschafter Rheinhessen | Wandern, Genuss, Kultur | Autor und Wanderblogger | Jogger und SunriseRunner

Mehr über den Entspannenden | Kontakt

Entspannen geht auch schnell. Langsam macht aber mehr Spaß.

Unterstütze mein Blog

Rheinhessen. Wanderungen für die Seele

Rheinhessen. Wandern für die Seele (Cover)

Mein Buch zum Wandern im magischen Land der tausend Hügel mit 20 Wohlfühlwegen. Jetzt bestellen:

Rheinhessen. Wanderungen für die Seele

Jakobswege Rheinhessen

Jakobswege Rheinhessen - Wandern auf historischen Pilgerpfaden (Buch-Cover)
Jakobswege Rheinhessen – Wandern auf historischen Pilgerpfaden (Buch-Cover)

Mein Buch zum Wandern auf historischen Pilgerpfaden im magischen Land der tausend Hügel. Jetzt bestellen:

Jakobswege Rheinhessen – Wandern auf historischen Pilgerpfaden

Newsletter

Newsletter abonnnieren

Blog-Beiträge: Benachrichtigungen bei neuen Beiträgen zu Wandern, Genuss und Kultur, Veranstaltungshinweisen und Einblicken. Du bekommst eine E-Mail mit einem Link zur Bestätigung Deiner Anmeldung. Schaue in den Posteingang oder SPAM-Ordner. Hier gibt es die Datenschutzbestimmungen.

Newsletter:
Datenschutzbestimmungen

Wine in Moderation

Wine in Moderation - Art de Vivre
Wine in Moderation – Art de Vivre

Der Entspannende ist Mitglied und Unterstützer von Wine in Moderation – Art de Vivre. Kultur mit Maß und Stil.

Neue Beiträge

Frank Hamm läuft im Flur der chirurgischen Station der Universitätsmedizin Mainz, hat einen Kopfhörer auf und zeigt mit dem Daumen nach oben.
Ich bin dem Tumor-Tod von der Schippe gesprungen
3. Dezember 2024
Symbolbild: Ein Weihnachtsmarkt am Abend an einer Burgmauer mit Ständen und mit einer Kerzenbeleuchtung (erzeugt mit Bing Image Creator)
Veranstaltungstipps Rheinhessen November und Dezember 2024
31. Oktober 2024
Herbstfarben in den Weinbergen bei Zornheim
Herbstliche Weinberge Zornheim
26. Oktober 2024
Soulfood: Deftiger Spitzkohl-Curry-Eintopf zum NFL-Spiel Patriots vs. Jaguars in London
Deftiger Spitzkohl-Curry-Eintopf mit Rindswürsten
20. Oktober 2024
Schlemmerwanderung Oppenheim - Katharinenkirche
Veranstaltungstipps Rheinhessen Oktober 2024
29. September 2024